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Erste erfolgreiche Behandlung einer Nervenkrankheit durch Gentherapie

Nr. 51 | 05.11.2009 | von (Koh)

Bei zwei Kindern mit der unbehandelt tödlich verlaufenden Nervenkrankheit ALD konnten die Krankheitssymptome mit einer neuen Therapieform aufgehalten werden. Ärzte im Hôpital Saint Vincent de Paul in Paris reparierten den Gendefekt in den Blutstammzellen der Kinder und setzten dabei als Gentransporter erstmals inaktivierte Viren aus der HIV-Familie ein. Wissenschaftler aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum und dem Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Heidelberg begleiten diese Studie mit innovativen Sicherheitsuntersuchungen. Die Studie ist in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift Science veröffentlicht.

Zwei Jahre nach der Gentherapie bilden die Blutstammzellen der behandelten Kinder immer noch das ALD-Protein (pink) Copyright: Patrick Aubourg, Inserm Unité 745
© dkfz.de

Die seltene, tödliche Nervenkrankheit ALD – Adrenoleukodystrophie – hat vor einigen Jahren durch den dramatischen Film „Lorenzos Öl“ Bekanntheit erlangt. Bei der Erkrankung wird das Myelin, die fettartige „Isoliersubstanz“ im Gehirn, zerstört, was einen schnellen körperlichen und geistigen Verfall bewirkt und schließlich zum Tod führt. Als Ursache gilt die Veränderung im Gen eines Transportproteins in der Zellmembran. Die einzig bisher verfügbare Therapie ist eine Übertragung von Blutstammzellen gesunder Spender. Nicht immer jedoch werden Spender mit den passenden Gewebemerkmalen gefunden, außerdem kommt es oft zu Transplantatabstoßung und anderen Komplikationen.

Nathalie Cartier und Patrick Aubourg vom Hôpital Saint Vincent de Paul in Paris erprobten nun erstmals eine Gentherapie gegen ALD. Christof von Kalle und Manfred Schmidt aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum und dem Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Heidelberg überwachen die Sicherheit der neuen Behandlungsform. Wissenschaftler zahlreicher weiterer Forschungseinrichtungen in Frankreich und den USA waren an dem Projekt beteiligt.

Die Ärzte entnahmen zwei siebenjährigen Jungen, die beide den für ALD verantwortlichen Gendefekt tragen, Stammzellen des blutbildenden Systems aus dem Knochenmark. Diese Blutstammzellen wurden in der Kulturschale mit dem intakten Gen ausgestattet und den beiden Kindern zurücktransplantiert. Da der Effekt dieser Gentherapie jahrelang anhalten soll, mussten als Gentransporter solche Viren verwendet werden, die ihr Erbgut fest in das Genom der Zelle einbauen. Dafür wurde erstmals eine inaktivierte Form des Aidsvirus HIV eingesetzt, das sehr gut Zellen infiziert, die sich nicht teilen.

Der Einbau des Viruserbguts in die DNA der Zelle ist ein kritischer Schritt, je nach Position können etwa Krebsgene dauerhaft aktiviert werden. „Bei einer früheren Gentherapie zur Behandlung eines Immundefekts war genau das geschehen“, erklärt Christof von Kalle. „Daher mussten wir bei den beiden ALD-Patienten mit Hilfe neuer technischer Verfahren in regelmäßigen Abständen überprüfen, ob das Virus einen bleibenden Schaden in den Blutstammzellen angerichtet hat, der später zu Komplikationen führen kann.“

Den beiden behandelten Kindern geht es gut: Einige Monate nach der Zellübertragung stoppte der Myelin-Abbau im Zentralnervensystem, körperliche und geistige Beeinträchtigungen traten bis 14 bzw. 16 Monate nach der Zellübertragung nicht auf, auch gab es kaum unerwünschte Nebenwirkungen.

„Das ist das erste Mal, dass eine Krankheit des Zentralnervensystems mit einer Gentherapie erfolgreich behandelt wurde. Außerdem wurden erstmalig Viren aus der HIV-Familie in einer klinischen Studie eingesetzt und haben sich vorerst bewährt, soweit wir es heute beurteilen können“, freut sich von Kalle über die Ergebnisse der Studie. „Wir hoffen, dass mit diesen neuartigen Gentransportern noch weitere erbliche Gendefekte behandelt werden können.“

Ein Bild zur Pressemitteilung steht im Internet zur Verfügung unter: http://www.dkfz.de/de/presse/pressemitteilungen/2009/images/vonKalle_Science_Proteinexpression.jpg

Bildlegende: Zwei Jahre nach der Gentherapie bilden die Blutstammzellen der behandelten Kinder immer noch das ALD-Protein (pink)

Copyright: Patrick Aubourg, Inserm Unité 745

Nathalie Cartier-Lacave, Salima Hacein-Bey-Abina, Cynthia C. Bartholomae, Gabor Veres, Manfred Schmidt, Ina Kutschera, Michel Vidaud, Ulrich Abel, Liliane Dal-Cortivo, Laure Caccavelli, Nizar Mahlaoui, Véronique Kiermer, Denice Mittelstaedt, Céline Bellesme, Naji ba Lahlou, François Lefrère, Stéphane Blanche, Muriel Audit, Emmanuel Payen, Philippe Leboulch, Bruno l’Homme, Pierre Bougnères, Christof von Kalle, Alain Fischer, Marina Cavazzana-Calvo und Patrick Aubourg: Hematopoietic Stem Cell Gene Therapy With a Lentiviral Vector in X-linked Adrenoleukodystrophy. Science, 6. November 2009

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, Interessierte und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.

Um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Patientinnen und Patienten zu verbessern, betreibt das DKFZ gemeinsam mit exzellenten Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland Translationszentren:

  • Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT, 6 Standorte)
  • Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK, 8 Standorte)
  • Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) Heidelberg
  • Helmholtz-Institut für translationale Onkologie (HI-TRON) Mainz – ein Helmholtz-Institut des DKFZ
  • DKFZ-Hector Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim
  • Nationales Krebspräventionszentrum (gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe)
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

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