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Neu entdeckte Genmutation erklärt kognitive Defizite bei Autismus

Nr. 69 | 29.08.2006 | von (JR)

Autismus ist eine genetisch bedingte Störung der Gehirnentwicklung, an der mindestens drei, möglicherweise sogar bis zu hundert verschiedene Gene beteiligt sind. Wissenschaftler aus der Abteilung Molekulare Genomanalyse am Deutschen Krebsforschungszentrum unter der Leitung von Prof. Annemarie Poustka identifizierten zusammen mit Kollegen aus den Universitäten Frankfurt und Salzburg Mutationen auf dem X-Chromosom. Dadurch können die kognitiven Defizite der Betroffenen besser erklärt werden.

Da Jungen viermal häufiger an Autismus erkranken als Mädchen, werden die genetischen Ursachen der Erkrankung unter anderem auf dem X-Chromosom vermutet. In der Vergangenheit wurden bereits mehrere Markergene für Autismus auf dem X-Chromoson identifiziert. Die Wissenschaftler nahmen nun weitere, bisher noch uncharakterisierte Regionen auf dem X-Chromosom ins Visier und unterzogen insgesamt 345 Autisten einem molekulargenetischen Screening. Bei zwei Brüderpaaren aus unterschiedlichen Familien fanden sie Mutationen in einer Region, die für die Herstellung von Ribosomen, den Eiweißfabriken der Zellen, verantwortlich ist.

Die Mutationen waren bei den Brüderpaaren zwar nicht identisch, lagen jedoch räumlich sehr eng beieinander und waren bei gesunden Kontrollpersonen nicht nachweisbar. Sie betrafen eine Sequenz im Genom, die für das ribosomale Protein L10 (RPL10) kodiert. Dieses Protein gehört zu einer Familie von Ribosomenproteinen, die evolutionär hoch konserviert von den Bakterien bis zum Menschen vorkommt und unverzichtbar ist für die Translation, die Übersetzung der genetischen Information in Proteine.

RPL10 wird im Gehirn besonders stark in Bereichen wie dem Hippokampus exprimiert, wo Lernen, Gedächtnis, soziale und affektive Funktionen lokalisiert sind. "Ein funktionsgestörtes RPL10 könnte verantwortlich sein für die mangelhafte Differenzierung von Nervenzellen und unzureichende Ausbildung von Nervenzellverbindungen während der Gehirnentwicklung, die bei Autisten mit bildgebenden Verfahren nachzuweisen ist und als Grundlage der Erkrankung gilt", betont die Erstautorin Dr. Sabine Klauck. In der Vergangenheit wurden bei Autisten bereits mehrfach Mutationen in Genen nachgewiesen, die bei der synaptischen Verknüpfung im Hippokampus eine Rolle spielen.

Die neuen Erkenntnisse stützen ein Erkrankungsmodell, bei dem der genetische Defekt über eine Störung der Translation zu einer unzureichenden Nervenzellentwicklung und
-verschaltung in bestimmten Hirnregionen führt. Diese Störungen manifestieren sich dann in den typischen kognitiven Defiziten und Wahrnehmungsstörungen beim Autismus.

S.M. Klauck, B. Felder, A Kolb-Kokocinski, C. Schuster, A. Chiocchetti, I. Schupp, R. Wellenreuther, G. Schmötzer, F. Poustka, L. Breitenbach-Koller, A. Poustka: Mutations in the ribosomal protein gene RPL10 suggest a novel modulating disease mechanism for autism; Molecular Psychiatry, doi:10.1038/sj.mp.4001883

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, Interessierte und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.

Um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Patientinnen und Patienten zu verbessern, betreibt das DKFZ gemeinsam mit exzellenten Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland Translationszentren:

  • Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT, 6 Standorte)
  • Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK, 8 Standorte)
  • Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) Heidelberg
  • Helmholtz-Institut für translationale Onkologie (HI-TRON) Mainz – ein Helmholtz-Institut des DKFZ
  • DKFZ-Hector Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim
  • Nationales Krebspräventionszentrum (gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe)
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

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