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Inventur der Gene

DKFZ-Wissenschaftler durchkämmen Taufliegen-Genom nach krebsrelevanten Erbanlagen

Nr. 03 | 05.02.2004 | von (Sto)

Dr. Michael Boutros vom Deutschen Krebsforschungszentrum und ein internationales Forscherteam haben erstmals einen nahezu vollständigen Satz von Erbanlagen nach Genen durchforstet, die bei Krebserkrankungen eine Rolle spielen könnten. Die Ergebnisse sind in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Science veröffentlicht.

Die meisten Krebserkrankungen gehen auf Veränderungen im Erbgut zurück. Diese bewirken, dass sich die betroffenen Zellen ungehemmt vermehren oder nicht durch das Immunsystem abtöten lassen. Nachdem die Informationsabfolge in den Erbanlagen weitgehend entschlüsselt ist, gilt es nun herauszufinden, welche Rolle die einzelnen Gene im Organismus spielen. Krebsforscher hoffen aus diesen Erkenntnissen neue Therapien entwickeln zu können.

Für ihre Untersuchung benutzten Boutros und seine Kollegen Blutzellen der Taufliege Drosophila, einem Modellorganismus, der sich besonders gut für genetische Studien eignet. Mit modernen Hochdurchsatzverfahren analysierten sie die Funktion fast 20 000 verschiedener Gene. Dabei identifizierten sie mehr als 400 Gene, die für Vermehrung und Überlebensfähigkeit von Zellen – Schlüsselkriterien der Tumorentstehung – notwendig sind. Darunter fanden sich auch zahlreiche Gene, deren Verwandte im menschlichen Genom an Krebserkrankungen beteiligt sind. Bei der akuten myeloischen Leukämie etwa ist das Gen AML-1 krankhaft verändert. Das Fliegen-Pendant zu AML-1, so entdeckten die Forscher bei ihrer genomweiten Fahndung, wirkt in Zellen als Überlebensfaktor. Ihre Erkenntnisse stützen die Vermutung, dass ein verändertes AML-1-Gen eine Zelle daran hindert, ihr natürliches elbstzerstörungsprogramm einzuschalten. Beginnt sich die betreffende Zelle dann auch noch ungehemmt zu vermehren, entartet sie zum bösartigen Krebsherd.

Boutros, der die Boveri-Nachwuchsgruppe „Signalwege und Funktionelle Genomik“ leitet, benutzte das so genannte RNA-Interferenz-Verfahren, um die Funktionen der einzelnen Gene gezielt zu analysieren. Bei dieser auch RNAi-Screening genannten Methode sucht man sich zunächst aus einer Datenbank die Abfolge der Informationsbausteine aller zu untersuchenden Gene heraus. Nach diesem Muster stellt man für jedes Gen eine künstliche RNA-Kopie her. Behandelt man Zellen mit den maßgeschneiderten RNA-Molekülen, legen diese gezielt ihr jeweils natürliches Gen-Vorbild in den Zellen lahm. Sterben daraufhin Zellen ab oder hören sie auf sich zu teilen, wissen die Forscher, dass das betreffende Gen bei diesen Lebensfunktionen eine entscheidende Rolle spielen muss. Noch funktioniert diese Methode bei menschlichen Zellen nicht genomweit, weshalb Genforscher derzeit auf Modellorganismen wie die Taufliege angewiesen sind.

Je weiter Wissenschaftler in das molekulare Geschehen bei Krebserkrankungen vorstoßen, desto mehr zeichnet sich ab, dass es dabei selten um Veränderungen einzelner weniger Gene geht. Es sind mehrere kleine Schritte, die ein ungeheuer komplexes Wechselspiel von Genen und Genprodukten aus dem Ruder laufen lassen und erst in ihrer Gesamtheit dazu führen, dass eine Zelle entartet.

Die systematische Untersuchung von Genfunktionen sei nach der Entschlüsselung des Genoms der nächste logische Schritt, so Boutros. „Das Ziel ist, eine Art Landkarte zu erstellen“, erklärt er. „Die meisten der 25000 bis 30000 Gene des Menschen sind darauf bereits verzeichnet. Nun geht es darum, die Straßennamen zu entziffern, also die jeweiligen Aufgaben und Wechselwirkungen der Gene untereinander zu verstehen.“
Mit seiner Gruppe arbeitet Boutros unter anderem daran, das RNAi-Screening auch bei menschlichen Zellen anwenden zu können. Dann wäre es zum Beispiel möglich, die Funktionen der Gene in Tumorzellen zu erfassen oder auch zwischen verschiedenen Krebsarten zu vergleichen.

Science Bd. 303, Nr. 5659, S. 832 - 835

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, Interessierte und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.

Um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Patientinnen und Patienten zu verbessern, betreibt das DKFZ gemeinsam mit exzellenten Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland Translationszentren:

  • Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT, 6 Standorte)
  • Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK, 8 Standorte)
  • Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) Heidelberg
  • Helmholtz-Institut für translationale Onkologie (HI-TRON) Mainz – ein Helmholtz-Institut des DKFZ
  • DKFZ-Hector Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim
  • Nationales Krebspräventionszentrum (gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe)
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

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