Nr. 01c

Hirntumoren bei Kindern: Krebszellen werden auf ihrer Wanderung im Tumor weniger aggressiv

Mikroskopische Aufnahme der Tumorzellen, die sich - je nach Tumorbereich - unterschiedlich entwickeln. Rechts: Türkise und beige Zellen sind schnell teilende, frühe Tumorzellen, grüne und rote bereits ausgereiftere Stadien und lila Bindegewebs- und Hilfszellen des Tumors.
Mikroskopische Aufnahme der Tumorzellen, die sich - je nach Tumorbereich - unterschiedlich entwickeln. Rechts: Türkise und beige Zellen sind schnell teilende, frühe Tumorzellen, grüne und rote bereits ausgereiftere Stadien und lila Bindegewebs- und Hilfszellen des Tumors.

Bestimmte Hirntumoren bei Kleinkindern enthalten einerseits Zellen, die sich ganz ähnlich wie normale Hirnzellen entwickeln und andere, die sich bereits bösartig entwickelt haben, je nachdem wo sie sich innerhalb des Tumors befinden. Durch Analysen einzelner Zellen konnte ein Forscherteam des Hopp-Kindertumorzentrums Heidelberg (KiTZ), des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) und des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD) die genetischen Programme der einzelnen Zellen im Detail charakterisieren und ihren Entwicklungsweg innerhalb des Tumors nachweisen. Das „Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg“ (KiTZ) ist eine gemeinsame Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD) und der Universität Heidelberg (Uni HD).

Das Medulloblastom ist einer der häufigsten soliden Tumoren im Kindesalter und der häufigste bösartige Hirntumor bei Kindern überhaupt. Der Tumor wächst im Kleinhirn und kann lebenswichtige Hirnzentren durch sein Wachstum schädigen.

Anhand von Gewebemerkmalen und genetischer Kriterien werden Medulloblastome heute in unterschiedliche Risikogruppen unterteilt, die einen völlig unterschiedlichen Verlauf nehmen können. Während bestimmte Subtypen aggressiv voranschreiten und Metastasen bilden, gibt es andere Formen, die durch eine intensive Kombinationstherapie aus Operation, Chemotherapie und Bestrahlung in der Regel geheilt werden können.

Was bestimmte Tumoren auf zellulärer Ebene in die gutartigere oder bösartige Richtung lenkt, hat ein Forscherteam des Hopp-Kindertumorzentrums Heidelberg (KiTZ), des Deutschen Krebsforschungszentrums und des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD) jetzt mit einem neuartigen Verfahren untersucht.

Ein bestimmter Medulloblastomtyp, der sich einerseits durch seine guten Heilungschancen und gleichzeitig durch besondere strukturelle Eigenschaften seines Gewebes auszeichnet, diente ihnen dafür als Modell: Beim sogenannten Medulloblastom mit extensiver Nodularität (MBEN) grenzen sich innerhalb des Tumors kleine Gewebekammern ab, die weintraubenartig zusammenhängen. Tumorzellen, die sich in diesen Knoten befanden, so zeigte die Studie, waren nicht mehr teilungsaktiv und ihr genetisches Programm ähnelte denen ausgereifter Hirnzellen. In den Zwischenbereichen identifizierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dagegen unterschiedliche Zelltypen: Neben Immun- und Bindegewebszellen befanden sich dort auch deutlich aggressivere Tumorzellen, die sich weiterhin unkontrolliert teilten und deren genetisches Programm eher denen schnell wachsender Medulloblastome und unreifer Nervenzellen ähnelte. Im Laufe ihrer Wanderung in die Knoten reiften die Krebszellen jedoch wieder zu nervenähnlichen Zellen aus und teilten sich nicht mehr.

Kristian Pajtler, Kinderonkologe am KiTZ, DKFZ und UKHD und Leiter der Studie, erklärt die Ergebnisse so: „Bei einigen kindlichen Tumoren kommt es zu einer Blockade des normalen Entwicklungsprozesses. Die Krebszellen werden damit unreifen Vorläuferzellen ähnlich, die durch ein bestimmtes genetisches Programm teilungsaktiv bleiben. Bei den MBEN Tumoren funktioniert das anscheinend nur teilweise und viele der Zellen durchlaufen dann doch den halbwegs normalen Entwicklungsprozess einer Kleinhirnzelle und hören auf sich zu teilen. Das würde auch den meist günstigen Verlauf in diesem Tumortyp erklären.“

Für ihre Analysen zerlegte das Team die Tumoren von neun jungen MBEN Patientinnen und Patienten in ihre einzelnen zellulären Bestandteile und analysierte das genetische Programm der einzelnen Zellen. Durch ein bioinformatisches Verfahren konnten sie anschließend rekonstruieren, wo genau sich diese Zellen innerhalb des Tumors befanden. Das Verfahren, das in Zusammenarbeit mit der Abteilung von Karsten Rippe vom DKFZ angewendet wurde, hat eine besondere Bedeutung für die Medulloblastom-Forschung, erklärt einer der beiden Erstautoren der Studie, David Ghasemi, Arzt und Wissenschaftler am KiTZ, UKHD und DKFZ. „Denn bisher ist es noch nie gelungen, Labormodelle für diesen Medulloblastomtyp zu entwickeln. Erst durch dieses Verfahren war es möglich, die einzelnen Zelltypen innerhalb des Tumors zu lokalisieren und nachzuvollziehen, wie sich die verschiedenen Bereiche innerhalb des Tumors unterscheiden.“

Die Blockade des Reifungsprozesses ist eine wichtige therapeutische Stellschraube, an der bereits geforscht wird, um einen bösartigen Verlauf bei Kindern abzuwenden und die Krebszellen wieder in eine gutartige Richtung zu lenken. „Möglicherweise bräuchten MBEN Tumoren hier nur einen kleinen Schubs“, sagt Kristian Pajtler. „Denn auch wenn die meisten Kinder mit einem MBEN Tumor durch Operation und gegebenenfalls weitere Therapien geheilt werden können, sind das sehr intensive Behandlungen für Kleinkinder, die häufig mit starken, lebenslangen Nebenwirkungen verbunden sind.“

Originalpublikation:
Ghasemi D.R., Okonechnikov K. et al. Compartments in medulloblastoma with extensive nodularity are connected through differentiation along the granular precursor lineage. In: Nature Communications (Online Publikation 8. Januar, DOI: 10.1038/s41467-023-44117-x)

Ein Bild steht zum Download zur Verfügung unter:
https://www.kitz-heidelberg.de/fileadmin/media/KiTZ-HD/News/2024/240104-MBEN_MRT.png 

Bildunterschriften:
MRT-Bild: Beim sogenannten Medulloblastom mit extensiver Nodularität (MBEN) grenzen sich innerhalb des Tumors kleine Gewebekammern ab, die weintraubenartig zusammenhängen.

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