Den Tumor besser durchschauen
In Heidelberg wurde ein 8,1 Millionen teures Kombinationsgerät „MR-Linac" in Betrieb genommen: Die MR-geführte Strahlentherapie passt die Strahlenbehandlung individuell und in Echtzeit an den Tumor an. Nun konnten die Strahlentherapeuten die europaweit erste Patientin mit dem neuen Hybridgerät behandeln.
Aus zwei mach eins: In Heidelberg wurde nun die europaweit erste Patientin mit einem neuen Kombinationsgerät zur Strahlentherapie behandelt, das es ermöglicht, gleichzeitig mit der Bestrahlung präzise Bilder des Tumors zu gewinnen. Mithilfe der durch Magnetresonanztomographie (MRT) geführten Bestrahlung konnten bei dieser Patientin Metastasen im Bauchraum zielgenauer behandelt und die umliegenden Organe wie etwa der Darm geschont werden.
Damit ist dem Heidelberg MRgRT-Konsortium, einer Kooperation des Universitätsklinikums Heidelberg und des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), eine weitere Innovation in der Strahlentherapie gelungen. Das Gerät im Wert von über acht Millionen Euro wurde im Rahmen einer leistungsorientierten Ausschreibung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eingeworben. Ein weiteres Gerät wird zurzeit im Universitätsklinikum Tübingen installiert.
Hybridgeräte – doppelter Vorteil für den Patienten
Entscheidend für den Erfolg einer Strahlentherapie ist es, die Lage und die Ausdehnung des Tumors möglichst genau zu ermitteln, um die Bestrahlung dann präzise auf das Tumorgewebe zu richten. Bisher wurde die aktuelle Position des Tumors unmittelbar vor dem Start der Bestrahlung mit Hilfe von Röntgenbildgebung kontrolliert. Der Einsatz des MR-Linac bietet mehrere große Vorteile:
Die Magnetresonanztomographie (MRT) kommt ohne zusätzliche Strahlenbelastung des Patienten aus und kann daher problemlos mehrmals wiederholt werden. Während einer Behandlung können daher täglich Bilddaten gewonnen werden, sodass die Therapie direkt an die Situation am Behandlungstag angepasst werden kann. So erfasst der MR-Linac beispielsweise die veränderte Lage eines Tumors oder eine bereits deutliche Schrumpfung des Krebsgeschwürs während der Therapie. Auf diese Weise können etwaige Nebenwirkungen der Strahlentherapie reduziert werden. Außerdem lassen sich mittels MRT die Unterschiede zwischen Tumor und gesundem Gewebe sowie innerhalb des Tumors besser abbilden als mit Röntgenverfahren. Auch Tumore, die sich in der Röntgenbildgebung nur schlecht oder gar nicht vom umliegenden Gewebe abgrenzen lassen und deren Lage bislang nur anhand der knöchernen Strukturen bestimmt wurde, können nun während der gesamten Therapie mit dem MR-Linac in Bestrahlungsposition beobachtet werden.
Heidelberg: weltweit einziges Zentrum, das sämtliche Hochpräzisionsbestrahlungstechniken anbietet
Jürgen Debus, Ärztlicher Direktor der Klinik für RadioOnkologie und Strahlentherapie des Universitätsklinikums Heidelberg und Direktor am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) und kommissarischer Leiter der Abt. Strahlentherapie am DKFZ, ist überzeugt: „Hybridgeräte für die MR-geführte Strahlentherapie versprechen eine deutliche Weiterentwicklung der bildgestützten Bestrahlung. Von der Möglichkeit, bei bewegten Tumoren die Bestrahlung in Echtzeit anzupassen, erwarten wir für viele Patienten verbesserte Therapieergebnisse." Die nötigen Forschungsarbeiten, um das volle Potenzial dieser neuen Methode auch klinisch umzusetzen, wurden bereits begonnen. Heidelberg ist weltweit das einzige Zentrum, das seinen Patienten das gesamte Spektrum an Hochpräzisionsbestrahlungstechniken - darunter auch Ionenbestrahlungen - anbieten kann, was vergleichende Studien erheblich erleichtert.
„Wir werden noch einige physikalische und technische Aufgaben zu lösen haben, um das enorme Potenzial dieser neuen Technologie optimal für unsere Patienten einsetzen zu können. Der Heidelberger Campus bietet jedoch eine weltweit nahezu einmalige Expertise in allen beteiligten Disziplinen, so dass die Erfolgschancen unseres interdisziplinären Konsortiums hervorragend sind", ergänzt Oliver Jäkel, Leiter der Abteilung „Medizinische Physik in der Strahlentherapie" am DKFZ, der zusammen mit Prof. Jürgen Debus das 2005 gegründete Heidelberger Institut für RadioOnkologie (HIRO) leitet.
Kosten-Nutzen-Analyse identifiziert Patienten, die eindeutig von der neuen Methode profitieren
Das Heidelberger Konsortium hat eine ganze Reihe begleitender methodischer Forschungsprojekte parallel zu den klinischen Fragestellungen formuliert, wie etwa auch eine Kosten-Nutzen-Analyse dieser neuen Methode: „Langfristig müssen die Patientengruppen identifiziert werden, die eindeutig vom Einsatz des MR-Linac profitieren, um den Stellenwert dieser neuen Technologie zu bestimmen. Eine Behandlung mit dieser Technik wird deutlich teurer sein als eine Standardbehandlung", so Jürgen Debus. „Als eines der größten Strahlentherapiezentren Europas ist Heidelberg mit über 4000 Strahlentherapiepatienten pro Jahr hervorragend für diese Studien geeignet", so Debus weiter, der zuvor maßgeblich an der Einführung der Ionentherapie in Europa mitgewirkt hat und auch das Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrum (HIT) leitet. Für Baden-Württemberg ist die Inbetriebnahme der beiden neuen Hybridgeräte ein Meilenstein: Das Bundesland im Süden der Republik entwickelt sich auch im Bereich der Krebstherapie durch seine exzellenten Universitätsklinika, dem DKFZ und dem Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) zu einem Standort für innovative Technologien.
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, Interessierte und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.
Um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Patientinnen und Patienten zu verbessern, betreibt das DKFZ gemeinsam mit exzellenten Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland Translationszentren:
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.