Nr. 22

Wie das Epstein-Barr-Virus seine eigene Ausbreitung im Körper fördert

3D-Illustration von Viruspartikeln, darunter ein geöffneter Epstein-Barr-Virus mit sichtbarer DNA und Proteinhülle in einem Blutgefäß.
Künstlerische Darstellung von Epstein Barr-Viren in Blutgefäßen

Viele Menschen sind mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV) infiziert, und die meisten merken nichts davon. Manchmal jedoch kann das EBV Krebs auslösen, und auch bei Multipler Sklerose und anderen Autoimmunerkrankungen scheint dieser Erreger eine wichtige Rolle zu spielen. Forschende vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und dem Nierenzentrum der Universitätsklinik Heidelberg haben herausgefunden, dass EBV die Migrationsfähigkeit der infizierten Immunzellen steigert. Damit fördert der Erreger seine Verbreitung im Körper – eine möglicherweise therapeutisch nutzbare Entdeckung.

Das zu den Herpesviren zählende Epstein-Barr-Virus war das erste Virus, für das eine krebserregende Wirkung beim Menschen nachgewiesen wurde. Das war in den sechziger Jahren, und bis heute ist nicht abschließend geklärt, wie genau die krebsauslösende Wirkung zustande kommt. Entscheidend dürften Interaktionen zwischen dem EBV und dem Immunsystem des Wirtsorganismus sein, denn nur ein kleiner Prozentsatz der Infizierten entwickelt Krebserkrankungen wie z. B. das hochaggressive Burkitt-Lymphom oder ein Magenkarzinom. 

Auch bei der Entstehung von Autoimmunerkrankungen findet offenbar eine Kommunikation zwischen EBV und Immunzellen statt, mit der Folge, dass die Abwehrzellen plötzlich Strukturen des eigenen Körpers angreifen. Bei MS richtet sich dieser Angriff gegen die Myelinscheiden von Nervenzellen.

In Deutschland sind mehr als 95 Prozent aller Erwachsenen über 50 Jahren mit dem Epstein-Barr-Virus infiziert. Erstinfektionen in der Kindheit verlaufen meist ohne Symptome, Infektionen im Erwachsenenalter provozieren in einem Drittel der Fälle das Pfeiffer‘sche Drüsenfieber, eine spontan ausheilende Entzündung der Lymphknoten und des Rachenraums. Anschließend verbleibt das Virus lebenslang meist unauffällig im Körper. Manche Menschen jedoch entwickeln unter dem Einfluss des EBV bösartige Tumoren oder Autoimmunerkrankungen.

Viren haben in der Regel Vorlieben für bestimmte Zelltypen. Das Epstein-Barr-Virus ist auf B-Zellen des Immunsystems spezialisiert. Sowohl bei den durch EBV verursachten Lymphomen als auch bei Multipler Sklerose spielen B-Zellen die zentrale Rolle: Im ersten Fall sind es diejenigen Zellen, die sich unkontrolliert vermehren. Im zweiten Fall sind B-Zellen maßgeblich an der Zerstörung der Nervenscheiden beteiligt.

Das Virus macht mobil

Für diese Fälle interessiert sich DKFZ-Forscher Henri-Jacques Delecluse, der dem Epstein-Barr-Virus seit langem auf der Spur ist. Jetzt hat er erneut eine wichtige Entdeckung gemacht, die Ansatzpunkt für innovative Therapien sein könnte. „In Kooperation mit dem Nierenzentrum des Universitätsklinikum Heidelberg konnten wir zeigen, dass EBV-infizierte B-Zellen Charakteristika von „Homing cells“ aufweisen“, erklärt der DKFZ-Forscher. Homing bezeichnet das Einwandern von Immunzellen aus den Lymphbahnen in bestimmte Gewebe, wo sie auf Zielstrukturen von Krankheitserregern geeicht werden. Die immunkompetenten B-Zellen kehren anschließend in die lymphatischen Organe zurück. „Homing Cells“ haben die Fähigkeit, die Barriere des Gefäßendothels – der inneren Wandschicht von Blut- und Lymphgefäßen – zu überwinden. Normalerweise erfolgt das Homing streng kontrolliert und wird durch Botenstoffe, sogenannte Zytokine, gesteuert, über die Zellen miteinander kommunizieren.

Ansatzpunkt für neue Therapien

EBV-infizierte B-Zellen bilden ein lebenslang im menschlichen Körper verbleibendes Virusreservoir. Dadurch, dass die Viren die gezielte Migration der infizierten B-Zellen auslösen, breiten sich diese im Körper aus - und mit ihnen die Viren. Die Heidelberger Forschergruppe identifizierte zwei vom EBV produzierte Proteine, die das Homing-Verhalten der B-Zellen in Gang bringen. „Die Virusproteine EBNA2 und LMP1 erhöhen die Aktivität entzündungsfördernder Zytokine wie CCL4, die bei Multipler Sklerose nachweislich relevant sind“, berichtet Henri-Jacques Delecluse. „In der Folge teilen sich die infizierten B-Zellen und schwärmen aus. Die EBV-manipulierten B-Zellen überwinden die Barriere des Gefäßendothels und dringen unter anderem ins Gehirn ein. Auch dieser Prozess wird durch MS-relevante Botenstoffe gesteuert, wie wir zeigen konnten. Unter anderem ist der CCR1-Rezeptor involviert, der bei Multipler Sklerose nachweislich eine wichtige Rolle spielt.“

Die Entdeckung der DKFZ-Forscher eröffnet neue therapeutische Perspektiven. „Die Entschlüsselung der Reaktionskaskade, die EBV-infizierte B-Zellen in den Homing-Modus versetzt, bietet die Möglichkeit, gezielt zu intervenieren und die Migration der B-Zellen zu unterbinden“, erklärt Erstautorin Susanne Delecluse. Mit verschiedenen Ansätzen ist es dem Forscherteam am Tiermodell bereits gelungen, die EBV-induzierte Migration von B-Zellen zu blockieren. „Durch spezifische Hemmstoffe“, so Susanne Delecluse vom Nierenzentrum des UKHD, „konnten wir die Überlebenschance EBV-infizierter B-Zellen reduzieren und ihre Ausbreitung im Körper – unter anderem ins Gehirn – verhindern.“ 

Sollte dies auch beim Menschen funktionieren - was bis jetzt noch nicht gezeigt ist - ließe sich der Ansatz möglicherweise nutzen, um einer autoaggressiven Schädigung der Nervenscheiden bei Multipler Sklerose vorzubeugen. 

 

Publikation: S. Delecluse et al. Epstein-Barr virus induces aberrant B cell migration and diapedesis via FAK-dependent chemotaxis pathways. Nature Communications 2025, DOI: 10.1038/s41467-025-59813-z

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