Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass körperliche Aktivität das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen senkt. Auch Patienten, denen bereits eine Herzerkrankung diagnostiziert wurde, wird Bewegung angeraten, um einer weiteren Verschlimmerung des Leidens vorzubeugen. In den USA beispielsweise raten die klinischen Fachgesellschaften zu 30 bis 60 Minuten moderater aerober Aktivität an mindestens fünf, besser noch an sieben Tagen der Woche. Diese Richtwerte beruhen den Ergebnissen klinischer Studien, in denen die Wirksamkeit von betreuten und meist auf wenige Monate begrenzten Reha-Sportprogrammen untersucht wurde.
Dr. Ute Mons und Professor Hermann Brenner im Deutschen Krebsforschungszentrum wollten herausfinden, ob diese Empfehlungen auch unter normalen Lebensbedingungen der Patienten Gültigkeit haben. „Wir wollten zunächst prüfen, ob es tatsächlich einen linearen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit der körperlichen Aktivität und der Prognose gibt“, erklärt Ute Mons. „Außerdem wurde bislang meist außer Acht gelassen, inwieweit sich die Patienten im Laufe der Jahre an die Präventionsempfehlungen halten.“
Die Epidemiologen beobachteten daher über zehn Jahre hinweg mehr als tausend Patienten, die sich wegen einer koronaren Herzkrankheit (Myokardinfarkt oder akutes koronares Syndrom) einer klinischen Rehabilitation unterzogen hatten. Die Patienten wurden 1, 3, 6, 8 und 10 Jahre nach ihrer Klinikentlassung per Fragebogen zu ihren sportlichen Aktivitäten befragt und alle neu auftretenden kardiovaskulären Komplikationen (Infarkt, Schlaganfall) wurden dokumentiert.
Zunächst fiel bei der Auswertung der Daten auf, dass die meisten Patienten ihr Aktivitätslevel mit den Jahren und mit steigendem Alter nicht durchhielten: Der Anteil der Teilnehmer, die täglich oder zumindest fünf- bis sechsmal wöchentlich Sport getrieben hatten, sank kontinuierlich; dagegen stieg der Anteil derer, die kaum jemals körperlich aktiv wurden.
Die DKFZ-Epidemiologen definierten Patienten, die laut Selbstauskunft zwei- bis viermal pro Woche Sport trieben und damit das mittlere Aktivitätsniveau darstellten, als Referenzgruppe. In allen anderen Gruppen traten kardiovaskuläre Komplikationen häufiger auf. Das höchste Risiko hatten erwartungsgemäß diejenigen Patienten, die sich selten oder nie sportlich betätigten (viermal mehr Herz-Kreislauf-bedingte Todesfälle als in der Referenzgruppe), gefolgt von denen, die nur ein- bis viermal im Monat aktiv waren.
Aber auch bei Patienten, die täglich Sport trieben, traten schwere Herz-Kreislauf-Ereignisse etwa doppelt so häufig auf wie in der Referenzgruppe. Besonders deutlich wurde dieser nicht-lineare Zusammenhang (umgekehrte „J“-Kurve), wenn die Wissenschaftler nur Infarkte und Schlaganfälle mit tödlichem Ausgang betrachteten.
Über die Ursachen für die Risikosteigerung bei den körperlich aktivsten Patienten können die Forscher nur spekulieren. Da die genauen Todesumstände in der Untersuchung nicht dokumentiert wurden, lässt sich nicht sagen, ob das gestiegene Risiko der allersportlichsten Gruppe mit plötzlichem Herztod während oder direkt nach der sportlichen Anstrengung in Zusammenhang steht.
„Möglicherweise überschätzt unsere Analyse das Risiko der Patienten aus der körperlich inaktivsten Gruppe“, konstatiert Hermann Brenner. „Denn wer ohnehin krank und geschwächt ist, treibt keinen Sport. Dass aber körperliche Aktivität in Maßen, soweit sie möglich ist, gesundheitsförderlich ist, steht außer Frage. Unsere Ergebnisse legen aber auch nahe, dass es eine Obergrenze gibt, jenseits derer ein Mehr an Sport keinen gesundheitlichen Vorteil bringt. Die klinischen Empfehlungen zur sekundären Prävention von Herz-Kreislaufkrankheiten sollten dies entsprechend berücksichtigen.“
Ute Mons, Harry Hahmann und Hermann Brenner: A reverse J-shaped association of leisure time physical activity with prognosis in patients with stable coronary heart disease: evidence from a large cohort with repeated measurements. Heart 2014, DOI: 10.1136/heartjnl-2013-305242