Mit Antikörpern gegen Krebs
Im Kampf gegen Krebs setzen Wissenschaftler immer stärker auf Immuntherapien. Dabei soll das körpereigene Abwehrsystem die feindlichen Krebszellen erkennen und vernichten. Der Standort München des DKTK hat die Entwicklung neuer Immuntherapien zu einem seiner besonderen Schwerpunkte gemacht.
Zu jeder Sekunde entstehen im menschlichen Körper bösartige Zellen. Zellen, die in einem ganz frühen Reifestadium stehenbleiben, ihre normale Funktion nicht mehr ausüben können und sich stattdessen unkontrolliert teilen. Die meisten erkennt das Immunsystem sofort und vernichtet sie. Doch einige entartete Zellen entwischen der Immunabwehr. Dann kann Krebs entstehen.
„Wir verstehen inzwischen immer besser, wie es sein kann, dass Tumorzellen dem Immunsystem entgehen“, sagt Wolfgang Hiddemann, Standortsprecher des DKTK in München. Einige Tumorzellen verändern ihre Oberfläche so, dass sie für das Immunsystem unsichtbar werden. Andere behindern die Arbeit der Immunzellen. „Jetzt arbeiten wir daran, wie wir das Immunsystem bei seinem Kampf gegen den Krebs unterstützen können.“
Die Idee ist nicht neu. Schon seit den 1970er Jahren träumen Wissenschaftler davon. Der Durchbruch kam Ende der 1990er Jahre mit einem Antikörper, der bei Lymphdrüsenkrebs wirksam ist. Bösartige Lymphomzellen tragen auf ihrer Oberfläche ein Protein namens CD20. Der Antikörper bindet gezielt an dieses Protein und leitet damit die Zerstörung der Zellen ein. Nahezu zeitgleich wurden auch andere hochwirksame Antikörper für die Behandlung von Brustkrebs und Dickdarmkrebs entwickelt.
Aktuell richtet sich das Interesse der Forscher besonders auf sogenannte Checkpoint-Inhibitoren. Immun-Checkpoints sind molekulare Schaltstellen, an denen eine Abwehrreaktion wieder beendet werden kann. Krebszellen nutzen diesen Mechanismus, um sich der Immunabwehr zu entziehen. Sie bilden vermehrt hemmende Proteine auf ihrer Oberfläche, welche die Abwehrzellen ausbremsen. Durch die Gabe von Antikörpern gegen diese Proteine werden Tumorzellen für das Immunsystem wieder erkennbar und damit auch angreifbar. „Mit den Checkpoint-Inhibitoren ist eine völlig neue Dimension in die Krebstherapie gekommen“, schwärmt Hiddemann. „Damit lassen sich Tumoren behandeln, die auf herkömmliche Chemotherapie nur schlecht ansprechen, wie zum Beispiel das Nierenzellkarzinom, der schwarze Hautkrebs oder bestimmte Formen von Lungenkrebs.“
Am DKTK in München forschen die Wissenschaftler jedoch auch an anderen Formen der Immuntherapie. Ein Fokus liegt dabei auf therapeutischen Impfungen. Dabei werden den Patienten Immunzellen entnommen und außerhalb des Körpers darauf trainiert, Krebszellen anzugreifen. Anschließend führen die Ärzte sie über mehrfache Injektionen unter die Haut wieder dem Körper zu. „Der Begriff Impfung ist in diesem Zusammenhang etwas verwirrend, denn eigentlich soll eine Impfung einer Krankheit vorbeugen“, sagt Hiddemann. Wissenschaftler um Marion Subklewe konnten in einer ersten Studie zeigen, dass die Methode bei akuter myeloischer Leukämie funktioniert. Bei 80 Prozent der Patienten ist es gelungen, ausreichend Immunzellen zu entnehmen und auf die Krebszellen anzusetzen. Der Erfolg der Therapie soll demnächst in einer größeren klinischen Studie getestet werden. Die Arbeitsgruppe um Angelika Krackhardt verfolgt ähnliche Ansätze bei Patientinnen mit Brustkrebs.
Außerdem entwickeln die Wissenschaftler sogenannte bispezifische Antikörper. Diese Moleküle greifen mit einem Arm nach der Krebszelle, mit dem anderen binden sie an eine Immunzelle. Damit bringen sie beide Zellarten in räumliche Nähe zueinander. Die Immunzelle kann jetzt die Tumorzelle vernichten. Voraussetzung dafür ist, dass die Tumorzelle auf ihrer Oberfläche Moleküle präsentiert, die der Antikörper erkennen kann. Diesen Ansatz verfolgen die Münchner Wissenschaftler unter anderem bei akuten Leukämien, Bauchspeicheldrüsenkrebs und Brustkrebs.
Der Standort München profitiert bei der Entwicklung neuer Immuntherapien, aber auch auf anderen Feldern der Krebsforschung von der hervorragenden Kooperation zwischen den beiden Hochschulen, der Technischen Universität München und der Ludwig-Maximilians-Universität München. Obwohl die einzelnen Standorte über die ganze Stadt verteilt sind, läuft die Zusammenarbeit problemlos. Dank der Anbindung an die Universitätskliniken können Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung in klinischen Studien überprüft werden. „Das ist ein großer Vorteil, denn so können wir in München den ganzen translationalen Zyklus der klinischen Entwicklung abbilden“, sagt Hiddemann.
// Claudia Doyle