e:Med - Systemmediziner treffen sich in Heidelberg
Individuelle genetische Unterschiede, Umwelt, Ernährung und Lebensstil entscheiden darüber, ob jemand gesund oder krank ist. Wie greifen die verschiedenen Systeme ineinander und wie lassen sie sich beeinflussen? Mediziner wollen in Zukunft solche komplexen Zusammenhänge besser verstehen, indem sie große Mengen gesundheitsbezogener Daten durch ein Wechselspiel von Laborexperimenten und Computermodellen analysieren. Diese als „Systemmedizin“ bezeichnete Herangehensweise soll dazu beitragen, innovative Therapie- und Präventionsverfahren zu entwickeln. Das Bundesforschungsministerium fördert die Etablierung eines Netzwerkes der Systemmedizin mit dem neuen Forschungskonzept e:Med. Die beteiligten Forscher stellen nun im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg erstmals ihre Projekte vor.
Der rasante technische Fortschritt und die immer genaueren Analysemethoden tragen dazu bei, dass in der Medizin zunehmend große Datenmengen anfallen. Dazu zählen die Daten aus der Analyse des Erbguts, der Proteine oder der Stoffwechselprodukte von Bioproben wie Blut, Urin oder Gewebe, aus bildgebenden Verfahren oder Gewebeuntersuchungen.
Damit der entscheidende Teil dieser Datenflut tatsächlich dem Patienten zu Gute kommen kann, vernetzen sich Computerwissenschaftler und Mathematikermit medizinischen und biologischen Experten. Ziel ist es, die komplexen Abläufe quantitativ und in ihrer zeitlichen Abfolge zu erfassen und die Zusammenhänge über viele Ebenen zu verstehen. Diese als „Systemmedizin“ bezeichnete Herangehensweise gilt sowohl für die großen Volkskrankheiten als auch für seltene Erkrankungen mit ihren komplexen Ursachen als Chance, Betroffenen eine bessere Behandlung und Prävention anbieten zu können.
Die Systemmedizin in Deutschland auf den Weg zu bringen, ist das Ziel der Forscher, die sich in e:Med zusammengeschlossen haben. Bei dem Kick-off-Meeting am 24. und 25. November stellen die verschiedenen Gruppen dieses Forschungskonzeptes erstmals ihre Projekte vor. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert e:Med mit bis zu 200 Mio. Euro für zunächst acht Jahre.
In die Krebsforschung hat die Systemmedizin bereits Einzug gehalten: Die individualisierte Krebstherapie beruht auf den Informationen aus der Erbgutanalyse der Tumorzellen. Am Beispiel Bauchspeicheldrüsenkrebs präsentiert Roland Eils, Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) und Universität Heidelberg, dieses Konzept. Karsten Rippe vom DKFZ nutzt Informationen darüber, wie Krebszellen ihre Chromosomenenden stabilisieren, um Verlauf und Therapieansprechen von Krebserkrankungen zu beurteilen.
Auch bei psychiatrischen Störungen oder Suchterkrankungen sollen Patienten von systemmedizinischen Ansätzen profitieren. Wie die Systemmedizin eingesetzt werden kann, um die Schizophrenie auf der biologischen Ebene umfassend zu verstehen, erläutert Markus Nöthen, Universitätsklinik Bonn. Eine Vielzahl von Lebensumständen, aber ebenso zahlreiche Besonderheiten der genetischen Ausstattung, führen zur Sucht. Rainer Spanagel vom Mannheimer Zentralinstitut für seelische Gesundheit legt dies am Beispiel der Alkoholabhängigkeit dar.
Nach Organtransplantationen ist es notwendig, das Immunsystem der Empfänger dauerhaft zu dämpfen. Genetische Unterschiede beeinflussen die Wirksamkeit immunsuppressiver Medikamente, aber auch das Auftreten schwerer Nebenwirkungen. Nina Babel von der Charité Berlin stellt vor, wie systemmedizinische Ansätze dabei helfen können, für jeden Patienten eine personalisierte Immunsuppression zu finden.
Ein zentraler Aspekt der Systemmedizin ist ihr krankheitsübergreifender Ansatz. Deutlich wird das bei chronischen Entzündungen von Oberflächenorganen wie Darm, Haut oder auch Lunge. Erkrankungen wie Mucoviszidose, Morbus Crohn oder Schuppenflechte haben auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun, und doch werden die Entzündungen durch dieselben zellulären Signalwege befeuert. Philip Rosenstiel von der Universitätsklinik Schleswig-Holstein in Kiel stellt vor, wie diese Wege mit systembiologischen Methoden aufgeklärt werden sollen.
Herzinfarkt und Schlaganfall gehören zu den häufigsten Erkrankungen - und auch diesen liegen gemeinsame genetische Ursachen zu Grunde. Diese aufzuklären ist das Ziel von Jeanette Erdmann, Universität zu Lübeck. Das von ihr vorgestellte Konsortium arbeitet daran, das individuelle Risiko besser vorhersagen zu können und therapeutische Zielstrukturen zu entdecken.
Beim Stichwort „Big Data“ stehen neben den Fragen zur Datennutzung auch Fragen zur Datensicherheit im Fokus. Nadine Umbach von der Universität Göttingen erläutert, wie das Datenmanagement in der Systemmedizin den Aspekten von Sicherheit und Ethik gerecht werden kann.
e:Med Kick-off Meeting Systemmedizin
24. und 25. November 2014,
Deutsches Krebsforschungszentrum, Kommunikationszentrum
Im Neuenheimer Feld 280
69120 Heidelberg
Journalisten sind herzlich eingeladen. Das vollständige Programm findet sich unter
http://meeting.sys-med.de/program.htm
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, Interessierte und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.
Um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Patientinnen und Patienten zu verbessern, betreibt das DKFZ gemeinsam mit exzellenten Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland Translationszentren:
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.