Der Thymus ist ein etwa faustgroßes Organ im Bereich des Brustbeins. Er ist zentraler Bestandteil des Immunsystems, in ihm reifen die so genannten T-Lymphozyten zu aktiven Zellen des Immunsystems heran. Nur Zellen, die zwischen Fremd und Selbst unterscheiden können, dürfen den Thymus verlassen, damit sie infizierte oder entartete Zellen abtöten und gleichzeitig körpereigene Gewebe unbehelligt lassen.
“Normalerweise wandern die unreifen T-Vorläuferzellen aus dem Knochenmark in den Thymus ein, um dort heranzureifen“, sagt Hans-Reimer Rodewald, der Leiter der Abteilung Zelluläre Immunologie im Deutschen Krebsforschungszentrum. “Wir wollten nun wissen was passiert, wenn der Thymus keine neuen Vorläuferzellen mehr erhält.“ Um das heraus zu finden, untersuchten Vera Martins, Hans-Reimer Rodewald und ihre Kollegen Mäuse, denen sämtliche Lymphozyten-Vorläuferzellen im Knochenmark aufgrund verschiedener genetischer Veränderungen fehlten. In diese Tiere transplantierten die Forscher einen Thymus aus einer normalen Maus. Sie erwarteten, dass der Spender-Thymus für etwa 4 Wochen eigene reife T-Zellen ins Blut der Empfängertiere abgeben würde, danach wären die Thymus-eigenen T-Zellen aufgebraucht und der Thymus würde degenerieren.
“Der geschätzte Zeitraum von vier Wochen hängt mit der Beobachtung zusammen, dass bei einer Thymus-Transplantation zwischen zwei normalen Tieren der Spender-Thymus nur etwa vier Wochen lang eigene T-Zellen in das Blut des Empfängers exportiert. Danach wandern Empfänger-eigene T-Vorläuferzellen aus dem Knochenmark in den Spender-Thymus ein und reifen dort heran“, erklärt Rodewald.
Überraschenderweise produzierte der Spender-Thymus aber im vorliegenden Experiment für mindestens drei Monate weiter seine eigenen Spender T-Zellen. Offenbar existieren im Thymus unreife Vorläuferzellen, die bei ausbleibendem Nachschub aus dem Knochenmark sich selbst erneuern und aus denen weitere T-Zellen heranreifen können. Vermutlich dient der Thymus als “Reservoir“, damit der Körper im Falle einer Schwäche des Knochenmarks nicht auf eine kontinuierliche Herstellung dieser wichtigen Abwehrzellen verzichten muss. Ob die erstaunliche Beobachtung auch für den Menschen zutrifft, ist noch nicht bekannt, doch “Thymus von Maus und Mensch sind sich in Bezug auf Struktur und Funktion sehr ähnlich“, erklärt Rodewald.
Dass es bislang als ausgemacht galt, dass der Thymus nicht in der Lage ist, eigene T-Zellen auf Dauer zu produzieren, lag vermutlich an den bisher zur Verfügung stehenden Tiermodellen: “Es gab keine Mäuse, die überhaupt keine T-Zell Vorläuferzellen besitzen“, erklärt Rodewald. “Deshalb konnten wir auch nicht herausfinden, was mit dem Thymus passiert, wenn er ohne Nachschub auskommen muss.“
Als nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler nun herausfinden, welche Zellen es im Thymus sind, die sich ohne Nachschub zu den reifen T-Zellen entwickeln, und in welcher Nische des Thymus sie sich versteckt halten. “Das eröffnet ein völlig neues Forschungsgebiet für uns“, sagt Rodewald, “und ich bin überzeugt, dass wir noch auf weitere Überraschungen stoßen werden.“
Vera C. Martins, Eliana Ruggiero, Susan M. Schlenner, Vikas Madan, Manfred Schmidt, Pamela J. Fink, Christof von Kalle, and Hans-Reimer Rodewald: Thymus-autonomous T cell development in the absence of progenitor import, Journal of Experimental Medicine
doi: 10.1084/jem.20120846