Nr. 20

Hirntumoren bei Kindern: Erblicher Gendefekt bringt die Eiweißregulation aus dem Gleichgewicht

Ohne ELP1 funktioniert der Zusammenbau und die Faltung vieler Proteine nicht mehr richtig.
Ohne ELP1 funktioniert der Zusammenbau und die Faltung vieler Proteine nicht mehr richtig.

Bei einem bestimmten Typ von Medulloblastomen – gefährlichen Hirntumoren bei Kindern – sind die Ursachen in 40 Prozent aller Fälle angeboren. Das zeigt eine aktuelle Genomanalyse von Wissenschaftlern des Hopp-Kindertumorzentrums (KiTZ), des Europäischen Laboratoriums für Molekularbiologie (EMBL) und zahlreichen Kollegen weltweit, die jetzt im Fachmagazin Nature veröffentlicht wurde. Eine besondere Rolle spielt dabei ein genetischer Defekt, der bei 15 Prozent dieser Kinder auftritt und dazu führt, dass die Produktion und der Abbau von Eiweißen aus dem Gleichgewicht geraten. Die Wissenschaftler vermuten jetzt, dass Störungen im Proteinhaushalt eine bislang unterschätzte Ursache auch bei anderen Tumorarten sein könnten.

Gemeinsame Pressemitteilung des Hopp-Kindertumorzentrums (KiTZ) und des Europäischen Laboratoriums für Molekularbiologie (EMBL) Das „Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg“ (KiTZ) ist eine gemeinsame Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD) und der Universität Heidelberg (Uni HD).

Medulloblastome gehören zu den häufigsten bösartigen Hirntumoren bei Kindern. Vom Kleinhirn aus breiten sie sich in das umliegende Gewebe aus und können über die Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit auch in andere Bereiche des zentralen Nervensystems streuen. Wegen des schnellen Wachstums bleibt Ärzten nicht viel Zeit, nach einer passenden Therapie zu suchen.

Im Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg (KiTZ) sind die Ärzte darauf spezialisiert, die molekularen Eigenschaften kindlicher Krebserkrankungen zu charakterisieren, um neben Standardtherapien, weitere Behandlungsmöglichkeiten empfehlen zu können und neuartige, am Wirkmechanismus orientierte Therapien zu entwickeln.

Gemeinsam mit Kollegen des EMBL und des Deutschen Konsortiums für Translationale Krebsforschung (DKTK) sowie des St. Jude Children´s Research Hospital in Memphis, USA, unternahmen die KiTZ-Wissenschaftler die bislang umfänglichste genetische Untersuchung beim Medulloblastom. Sie untersuchten das Genom und Tumorgenom von 800 Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Medulloblastom und verglichen die genetischen Daten mit denen von gesunden Personen. Dabei stießen sie auf eine besonders auffällige erbliche Veränderung bei Kindern und Jugendlichen mit einem Hirntumor der Untergruppe Sonic Hedgehog-Medulloblastom.

Durch einen angeborenen genetischen Defekt konnten diese Patienten in 15 Prozent der Fälle im Tumor das Protein Elongator Complex Protein 1 (ELP1) nicht mehr herstellen. Der Elongator Proteinkomplex ist daran beteiligt, dass Eiweiße nach Anleitung des genetischen Codes korrekt zusammengebaut und gefaltet werden. Ohne ELP1, das zeigen die vorliegenden Ergebnisse, gerät ein großer Teil des Proteinhaushaltes durcheinander: „Besonders der Zusammenbau und die Faltung größerer Proteine funktioniert nicht mehr richtig und die Anhäufung dieser funktionslosen oder funktionsveränderten Proteine setzt die Zelle permanent unter Stress. Etwa Hunderte von Eiweißen sind auf diese Weise fehlreguliert, darunter auch Proteine, die für die Nervenzell-Entwicklung wichtig sind“, erklärt KiTZ-Direktor Stefan Pfister, Abteilungsleiter im DKFZ und Experte für zielgerichtete Therapien im DKTK.

Indem die Forscher auch das Erbgut einiger Eltern und Großeltern untersuchten, stellten sie zudem fest, dass der krebsauslösende ELP1-Gendefekt erblich ist. „Damit ist dies der bislang häufigste angeborene Gendefekt, der mit dem Medulloblastom in Zusammenhang gebracht werden konnte“, sagt Jan Korbel, Koautor der Studie vom EMBL. Erstautor Sebastian Waszak ergänzt: „Die aktuellen Ergebnisse zeigen, dass etwa 40 Prozent der Kinder und Jugendlichen, die an einem Medulloblastom dieses Subtyps leiden, eine angeborene genetische Veranlagung dafür haben. Das ist deutlich höher, als wir bislang vermutet hatten.“ Erblich bedingte Ursachen für Krebs im Vorfeld zu erkennen, kann helfen, die richtige Therapieentscheidung zu treffen und das Rückfallrisiko bei Kindern zu senken. „Beispielsweise können bei einer erblichen Veranlagung zu DNA-Brüchen, bestimmte Chemotherapien oder Strahlentherapie zu Sekundärtumoren führen. In solchen Fällen sollte man die erste Erkrankung nicht zu aggressiv behandeln“, sagt Stefan Pfister.

Originalpublikation:
S. Waszak, G. Robinson, et al. Germline elongator mutations in sonic hedgehog medulloblastoma. In: Nature (Online Publication 1st April 2020). DOI: 10.1038/s41586-020-2164-5

Bild zur Pressemitteilung steht zum Download zur Verfügung:
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Bildunterschrift:
Ohne ELP1 funktioniert der Zusammenbau und die Faltung vieler Proteine nicht mehr richtig.

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  • Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) Heidelberg
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  • DKFZ-Hector Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim
  • Nationales Krebspräventionszentrum (gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe)

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