Blut besteht aus Hunderten Milliarden von Zellen – von roten Blutkörperchen bis hin zu den „weißen“ Immunzellen – die alle ständig erneuert werden müssen. Jahrzehntelang galt ein einfaches Modell für die Blutneubildung: Am Ursprung steht die Blutstammzelle im Knochenmark, die sich in sogenannte multipotente Vorläuferzellen (MPP) und schließlich in die verschiedenen reifen Blutzelltypen differenziert.
Doch in den letzten Jahren mehrten sich Hinweise, dass dieses hierarchische Modell zu einfach ist. Neue Methoden, mit denen die Entwicklung von Zelltypen im Detail nachverfolgt werden kann, gaben Hinweise auf eine zweite, von den klassischen Blutstammzellen unabhängige Entwicklungslinie von multipotenten Vorläufern – sogenannte embryonische multipotente Vorläufer (eMPP). Sie entstehen bereits im frühen Embryo und sind bis ins Erwachsenalter aktiv.
Etwa ein Drittel der Blutzellen stammt von den embryonischen Vorläufern
Wie unterscheiden sich die beiden Arme der Blutbildung? Bringen sie unterschiedliche ausdifferenzierte Blutzellen hervor? Eine von Hans-Reimer Rodewald und Thomas Höfer im DKFZ und Xi Wang von der Nanjing Medical University, China, geleitete Studie am blutbildenden System der Maus bringt erstmals Klarheit in diese Diskussion. Die Forschenden entwickelten dazu modernste Techniken zur Markierung einzelner Zellen, um die Abstammung und Entwicklung einzelner Blutzellklone in Mäusen über Monate hinweg zu verfolgen.
Das überraschende Ergebnis: Etwa ein Drittel der Blutbildung stammt von einem bereits im Embryo angelegten System (eMPP), das unabhängig von den klassischen Blutstammzellen ist. Aus diesem System gehen bevorzugt Lymphozyten, also Immunzellen, hervor. Der zweite Arm, der von Blutstammzellen im Knochenmark und ihren Nachkommen (hMPP) ausgeht, erzeugt vorwiegend myeloide Zellen wie Granulozyten oder Erythrozyten, die roten Blutkörperchen.
Im Laufe des Lebens, so zeigten die Forscher, nimmt der Beitrag der embryonischen Vorläufer ab – was möglicherweise die im Alter nachlassende Schlagkraft des Immunsystems erklärt.
Molekularer Marker für embryonische Vorläufer entdeckt
Um embryonische multipotente Vorläufer künftig gezielt identifizieren zu können, entwickelten die Forschenden ein neuartiges Verfahren, das sie als PolySMART bezeichnen. Diese Technik erlaubt es, in einzelnen Zellen individuelle DNA-Markierungen, die so genannten zellulären Barcodes, gleichzeitig mit Oberflächenmarkern und Genexpressionsmustern zu analysieren.
Dabei entdeckte das Team ein überraschendes Merkmal: CD138, ein Glykoprotein der Zellmembran, kennzeichnet die eMPP besonders zuverlässig. Zellen, die CD138 tragen, sind selbsterneuerungsfähig und bevorzugt auf lymphatische Entwicklung programmiert.
„Mit CD138 haben wir erstmals einen Marker gefunden, der uns erlaubt, die embryonisch geprägten Vorläuferzellen gezielt zu isolieren und ihre Funktion zu untersuchen“, erklärt Rodewald. Das eröffnet neue Wege, um zu verstehen, wie sich das Immunsystem im Laufe des Lebens verändert. Als nächstes müsse geprüft werden, so der Immunologe, ob auch beim Menschen zwei parallele Systeme an der Blutbildung beteiligt sind. „Das halte ich für wahrscheinlich, denn in grundlegenden Aspekten der Physiologie stimmen Mensch und Maus überein.“
Rodewalds Kollege, der Bioinformatiker Thomas Höfer ergänzt: „Dass wir mit CD138 ein Unterscheidungsmerkmal gefunden haben, erlaubt uns erstmals, die beiden Blutbildungssysteme getrennt zu analysieren. Das ist ein Meilenstein für die Stammzellforschung.“
Publikation:
Fuwei Shang, Tamar Nizharadze, Robin Thiele, Branko Cirovic, Larissa Frank, Katrin Busch, Weike Pei, Thorsten B. Feyerabend , Thomas Höfer, Xi Wang, and Hans-Reimer Rodewald
Multipotent progenitors with distinct clonal lineage fates, transcriptomes, and surface markers yield two hematopoietic trees
Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 2025, DOI: 10.1073/pnas.2505510122