Den unbekannten Wächtern auf der Spur
Blutgefäßzellen nehmen auf zahlreiche Vorgänge des Körpers Einfluss. Die Abteilung Vaskuläre Signaltransduktion und Krebs untersucht, wie sich die Zellen mit ihrer Umgebung austauschen und welche Rolle sie im Verlauf einer Krebserkrankung spielen.
Blutgefäße sind mehr als nur Transportröhren, in denen Sauerstoff, Nährstoffe und die Produkte des Stoffwechsels durch den Körper fließen. An der Grenze zwischen den Organen und allem, was durch den Körper zirkuliert, übernehmen die Endothelzellen, die das Innere der Blutgefäße auskleiden, eine wichtige Kontrollfunktion. Sie beeinflussen dadurch zahlreiche Prozesse im Körper, etwa den Verlauf einer Entzündung. Andreas Fischer hat sein Interesse für die vielfältigen Aufgaben der Blutgefäßzellen während seiner Zeit als Postdoktorand in Würzburg entdeckt. „Damals ging ich der Frage nach, wie Blutgefäße wachsen und wie sie sich entscheiden, ob sie zu Arterien oder zu Venen werden“, sagt er. Fischer, der in Würzburg und Boston Medizin studierte, wechselte 2012 zum DKFZ nach Heidelberg, wo er auch im Zentrallabor des Universitätsklinikums ärztlich tätig ist. Seine Abteilung im DKFZ, die 2017 aus einer Helmholtz-Nachwuchsgruppe hervorging, ist mit der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg assoziiert. Die Forschung des Teams aus derzeit elf Mitarbeitern, die meisten von ihnen Biologen, ist dabei auf die Zellen der Blutgefäße fokussiert.
Gleich bei mehreren Projekten spielt ein Protein eine besondere Rolle, das den Namen Notch trägt. Es ist Teil eines Kommunikationsweges, über den benachbarte Zellen Signale austauschen. „Früher war die Ansicht verbreitet, dass Notch nur in der embryonalen Entwicklung wichtig sei“, erzählt Fischer, „aber diese Rezeptoren sind auch noch bei Erwachsenen aktiv.“ Der Notch-Signalweg steuert während der Embryonalentwicklung die Entstehung der Organe, später reguliert er unter anderem die Aktivität der Blutstammzellen. Fischer und sein Team untersuchten, welchen Einfluss Notch und andere Signalmoleküle darauf nehmen, dass Blutgefäße kontrolliert in ein Gewebe hineinwachsen. Die Richtung gibt dabei ein spezieller Wachstumsfaktor vor. Damit sich jedoch nur ein einzelner Gefäßzweig und kein wirres Netzwerk bildet, unterdrückt die an der Spitze des Zweiges gelegene Zelle das Wachstum benachbarter Gefäßzellen. Sie aktiviert bei ihren Nachbarzellen den Notch-Signalweg, woraufhin diese keine Andockstellen für den Wachstumsfaktor mehr bilden. Für ein entsprechendes Signal sind sie dann nicht mehr empfänglich.
Der molekulare Schalter
Auch bei Krebs spielen Signale, die das Wachstum der Blutgefäße steuern, eine wichtige Rolle. Denn das Tumorgewebe benötigt besonders viel Sauerstoff und Nährstoffe. Doch diese bekommt der Tumor ab einer gewissen Größe nur, wenn er in der Lage ist, eigene Blutgefäße zu bilden. Fischer und seine Mitarbeiter fanden in Blutgefäßen von Tumoren überraschend große Mengen der aktiven Form von Notch und stellten fest, dass die Konzentration umso höher war, je weiter sich der Krebs bereits ausgebreitet hatte. Offenbar ist das Notch-Signal auch entscheidend beteiligt, wenn sich Metastasen bilden. Um das ursprüngliche Gewebe zu verlassen und sich in einem anderen Organ anzusiedeln, müssen die Krebszellen in die Blutgefäße eindringen und diese auch wieder verlassen. Die Aktivierung von Notch in den Gefäßzellen erleichtert diesen Prozess. Es macht die Gefäßwand durchlässiger und unterdrückt zudem den Angriff durch das Immunsystem. Fischers Team verfolgt nun unterschiedliche Ansätze, das Signalmolekül zumindest kurzfristig zu blockieren, um zu verhindern, dass sich der Krebs im Körper weiter ausbreitet. Denn Metastasen stellen eine große Gefahr dar: Sie sind vermutlich für etwa zwei Drittel der krebsbedingten Todesfälle verantwortlich.
Der Notch-Signalweg ist schon seit einiger Zeit ein wichtiges Angriffsziel für Krebsmedikamente. „Aber manche Tumorzellen entwickeln sich während der Therapie weiter und werden resistent gegen die Substanzen“, so Fischer. In anderen Fällen zeigten sich in Studien schwere Nebenwirkungen von neuen Wirkstoffen. So entwickelten zum Beispiel manche Patienten eine Herzschwäche, wenn sie ein Medikament erhielten, das am Notch-Signalweg ansetzt. Eine mögliche Erklärung fand die Abteilung kürzlich darin, dass Notch die Versorgung des Herzmuskelgewebes mit seinen Hauptenergielieferanten, den Fettsäuren, reguliert. Erhält es diese nicht, muss sich das Herz von Zuckern ernähren, was vermutlich langfristig zu einer Herzmuskelvergrößerung und einer Minderfunktion führt.
Fischer ist es wichtig, dass seine Mitarbeiter ihre eigenen Ideen in die Projekte einbringen und gibt ihnen deshalb die notwendige Freiheit für ihre Forschung. Die Strategie scheint aufzugehen. Die Begeisterung ist den Teammitgliedern anzumerken, etwa der aus Kanada stammenden Doktorandin Jacqueline Taylor, wenn sie von ihrer Arbeit erzählt. Ihr Projekt ist Teil eines Sonderforschungsbereiches, den die Deutsche Forschungsgemeinschaft zu Beginn dieses Jahres an der Universität Heidelberg eingerichtet hat und an dem auch das DKFZ beteiligt ist. Das Interesse der Wissenschaftler gilt den Mechanismen, mit denen Blutgefäße die Funktion von Organen während ihrer Entwicklung oder auch bei Krankheitsprozessen steuern. Taylor untersucht, wie Endothelzellen den Stoffwechsel des Fettgewebes beeinflussen. Inzwischen werden drei Arten von Fettgewebe unterschieden: Weiße Fettzellen speichern Energie, sie dienen bei Nahrungsmangel als Reserve. Braunes und beiges Fettgewebe hingegen erzeugen vorrangig Wärme aus der gespeicherten Energie. In der Gegenwart von Tumorzellen verändert sich das Zusammenspiel von Gefäß- und Fettzellen, wobei wiederum Notch eine wichtige Rolle spielt. „Um sich besser ernähren und schneller wachsen zu können, signalisieren die Tumoren dem Fettgewebe, es solle Nährstoffe ausschütten", erklärt Taylor. Unter anderem wird in der Folge weißes in beiges Fettgewebe umgewandelt. Der Bedarf des Tumors und sein Einfluss auf den Stoffwechsel führen letztlich zu einem enormen Energieverbrauch. „Das begünstigt wiederum die sogenannte Tumorkachexie, eine gefährliche Form der Gewichtsabnahme, die die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigt und ihre Prognose verschlechtert", sagt die Doktorandin. Die Patienten verlieren nicht nur Fett, sondern vor allem auch Muskelmasse, was ihnen zunehmend die Kraft raubt. „Wir möchten einen Weg finden, diesen Vorgang zu blockieren und damit nicht nur eine Kachexie verhindern, sondern auch das Wachstum der Tumoren einschränken", so Taylor.
Der aus Spanien stammende Biologe Juan Rodriguez-Vita leitet innerhalb der Abteilung derzeit ein Projekt, das sich um die sogenannte Fibrose dreht. Dabei entstehen krankhaft viele Bindegewebsfasern in einem Organ – auf Kosten des funktionellen Gewebes, das die organspezifischen Aufgaben erfüllt. Rodriguez-Vita untersucht, wie das Protein Semaphorin die Fibrose beeinflusst. „Es gibt eine lange und eine kurze Form“, erklärt er, „die lange scheint eine Fibrose zu begünstigen und die kurze davor zu schützen.“ Krankhaftes Bindegewebe findet sich zum Beispiel bei einer Leberfibrose und auch in manchen Tumoren, besonders dem Bauchspeicheldrüsenkrebs. „Möglicherweise ist diese Tumorfibrose einer der Gründe dafür, dass dieser Krebs besonders bösartig und schwer zu behandeln ist“, so der Biologe. Das vermehrte Bindegewebe könnte den Tumor vor Medikamenten oder Strahlen schützen. Dann wäre die kurze Form des Proteins möglicherweise ein Wirkstoff, der diese Tumoren empfindlicher für die Behandlung macht.
Fischer und sein Team hoffen, mit ihren Ergebnissen dazu beizutragen, neue Behandlungsansätze für Krebspatienten auf den Weg zu bringen. Dass der Krebs jedoch schon bald besiegt sein könnte, hält Fischer nicht für wahrscheinlich. „Ich habe stattdessen die Hoffnung, dass wir durch neue Therapien viele Krebsformen in chronische Krankheiten umwandeln und damit das Überleben der Patienten deutlich verlängern können.“
// Dorothee Schulte