Ein Tumor im Zentrum der Persönlichkeit
Es gibt gutartige Hirntumoren, aber auch solche, die sich sehr aggressiv ausbreiten. einblick sprach mit dem Neuroonkologen Wolfgang Wick über besonders widerstandsfähige Krebszellen und neue Ansätze im Kampf gegen bösartige Hirntumoren.
Herr Professor Wick, viele Menschen empfinden Hirntumoren als besonders unheimlich. Woran liegt das?
Prof. Wick: Das Gehirn gilt als Sitz der Seele, es macht unsere Persönlichkeit aus. Patienten, bei denen ein Hirntumor diagnostiziert wurde, haben Angst vor Persönlichkeitsveränderungen. Oder sie befürchten, als veränderte Persönlichkeit wahrgenommen zu werden. Zu solchen Veränderungen kommt es aber tatsächlich nur in ganz seltenen Fällen.
Es gibt zahlreiche Arten von Hirntumoren. Wie unterscheiden sich die Erkrankungen?
Prof. Wick: Zunächst einmal: Über die Hälfte aller Tumoren im Gehirn sind gar keine Hirntumoren im eigentlichen Sinne, sondern Absiedlungen von Krebserkrankungen im Körper. Sie werden völlig anders behandelt als die „echten“ Hirntumoren. Bei den eigentlichen Hirntumoren handelt es sich wiederum in der Hälfte der Fälle um meist gutartige Tumoren der Hirnhäute, die Meningeome, die meist durch eine Operation geheilt werden können. Die andere Hälfte sind die problematischen Fälle: die diffus wachsenden Gliome, in der Mehrzahl die besonders aggressiven Glioblastome. Die Erkrankungen lassen sich bildgebend, durch Gewebeuntersuchungen und inzwischen auch sehr gut molekular unterscheiden. Die Diagnose hat erheblichen Einfluss auf die Therapie.
Was macht Glioblastome so gefährlich?
Prof. Wick. Glioblastome haben viele Eigenschaften, die es uns wirklich schwer machen, sie erfolgreich zu bekämpfen. Zunächst einmal wachsen sie sehr diffus in das Gehirn ein, sodass es unmöglich ist, sie bei einer Operation vollständig zu entfernen oder präzise zu bestrahlen. Gliome metastasieren nie, sie sind jedoch Erkrankungen des gesamten Gehirns. Unsere eigenen aktuellen Ergebnisse zeigen sogar, dass die Krebszellen untereinander eine das gesamte Gehirn durchziehende Netzstruktur ausbilden (s. einblick 1/2016). Wir gehen daher davon aus, dass ein Glioblastom auf mikroskopischer Ebene das gesamte Zentralnervensystem infiltriert. Der Tumor, den wir im Röntgenbild sehen, ist nur die Spitze des Eisbergs! Dazu kommt: Die Glioblastomzellen sind extrem resistent gegen alle Therapien und sie sind molekular sehr vielgestaltig. Darüber hinaus beuten sie sehr geschickt das umgebende gesunde Gewebe für ihr Wachstum aus.
Das klingt, als könnte man bislang wenig gegen die Krankheit ausrichten?
Prof. Wick: Operation des sichtbaren Tumors – ohne dabei Schäden anzurichten, Bestrahlung und das Medikament Temozolomid sind heute die Standardbehandlung. Trotz dieser Therapien überleben leider bislang im Schnitt deutlich weniger als zehn Prozent der Glioblastompatienten die ersten fünf Jahre nach der Diagnose. Aber das ist ein Mittelwert. Durch die großen Fortschritte in der molekularen Tumordiagnostik, die gerade auch in Heidelberg im DKFZ und im NCT erreicht wurden, können wir heute viele Patienten molekular definierten Subgruppen zuordnen, die viel besser zu behandeln sind. In diesen Fällen kennen wir die veränderten Zellstrukturen, die das Tumorwachstum antreiben. Die können wir teilweise jetzt schon, aber vor allem zukünftig, mit neuen, zielgerichteten Medikamenten präzise angreifen, die oftmals deutlich besser wirken als die Standardtherapie. Diese Patienten haben oft eine viel günstigere Prognose und leben teilweise viele Jahre beschwerdefrei.
In Heidelberg wird sehr viel an Hirntumoren geforscht. Gibt es Aussicht auf neuartige Behandlungen?
Prof. Wick: Wir erproben derzeit, vor allem im Labor, eine Kombination der Protonen-Präzisionsstrahlentherapie mit zielgerichteten Medikamenten und erwarten, dass Glioblastome darauf besser ansprechen als auf die konventionelle Bestrahlung. Auch die derzeit vieldiskutierten Methoden, das Immunsystem gegen den Tumor zu aktivieren, halte ich für aussichtsreich. Darüber hinaus gab es in den letzten Jahren einige erfreuliche und vielversprechende Entwicklungen von ganz neuen therapeutischen Ansätzen. Weit fortgeschritten ist etwa der Wirkstoff APG101 der DKFZ-Ausgründung Apogenix, der Wachstumssignale an die Glioblastomzellen unterdrückt (s. einblick 1/2018). Ebenfalls im DKFZ wurde eine Methode entwickelt, um Glioblastome mit Parvorviren zu bekämpfen. Diese Virustherapie hat sich in einer ersten klinischen Prüfung als sicher erwiesen und soll nun weiter erforscht werden. Außerdem konzentrieren wir uns derzeit auf das Enzym IDH1, das bei einigen Glioblastomen sowie vor allem bei der Mehrzahl der niedriggradigen Gliome charakteristisch und tumorspezifisch verändert ist (s. Seite 22 und einblick 1/2018). Insgesamt setzen wir darauf, Therapien, auch die vielversprechenden immunologischen Verfahren, immer spezifischer an die individuelle Erkrankung anzupassen.
Gibt es typische Symptome, die auf einen Hirntumor hinweisen?
Prof. Wick: Hirntumoren haben keine charakteristischen Symptome. Die Beschwerden wie epileptische Anfälle, Sprachstörungen, Lähmungen oder lageabhängige Kopfschmerzen sind durch den erhöhten Schädelinnendruck verursacht und treten so auch bei Blutungen, Entzündungen oder anderen neurologischen Erkrankungen auf.
Lässt sich das persönliche Risiko, an einem Hirntumor zu erkranken, verringern?
Prof. Wick: Da ist leider nichts bekannt. Die Daten zum Zusammenhang von Handystrahlen und Hirntumoren sind allerdings immer noch zu vorläufig, um dieses Risiko abschließend zu beurteilen. Auf der anderen Seite bedeutet das aber, dass wir unseren Patienten sagen können: Machen Sie sich keine Vorwürfe, Sie haben nichts falsch gemacht! Ein Hirntumor ist eben Schicksal.
Das Interview führte // Sibylle Kohlstädt