Den Tumor an der Wurzel packen
Hirntumor ist nicht gleich Hirntumor. Deshalb wirkt ein und dieselbe Therapie manchmal gut, manchmal gar nicht. Marc Remke, forschender Arzt im Deutschen Krebskonsortium (DKTK), will die molekularen Zusammenhänge dahinter aufdecken und seinen Patienten eine bessere Behandlung anbieten.
Es ist ein seltener Krebs, aber ein besonders aggressiver. Die Rede ist vom Medulloblastom, einem Tumor des Kleinhirns. Er tritt besonders häufig bei Kindern auf, selten sind Erwachsene betroffen. In unglaublicher Geschwindigkeit frisst der Krebs sich durch das Gehirn. Den Patienten und ihren Ärzten bleibt nicht viel Zeit. Jetzt kommt es darauf an, schnell die richtige Therapie auszuwählen. Doch genau das ist das Problem.
„Jeder Tumor ist einzigartig, also braucht jeder Patient auch eine maßgeschneiderte Therapie“, erklärt Marc Remke. Er weiß, wovon er spricht. Schließlich leitet er nicht nur die Arbeitsgruppe Pädiatrische Neuroonkogenomik, sondern betreut auch täglich Patienten auf der Krebsstation des Universitätsklinikums Düsseldorf. Optisch sind die Tumoren jedoch nur schlecht voneinander zu unterscheiden. Legt man Gewebeproben verschiedener Medulloblastome unters Mikroskop, dann können diese selbst die besten Neuropathologen nur grob unterteilen. Damit ist die Einteilung in Therapiegruppen jedoch noch nicht genau genug. „Die wirklich wichtigen Informationen finden wir im Inneren der Tumorzellen“, sagt der 36-jährige Mediziner, „deshalb müssen wir uns die Biologie der Zellen genauer anschauen.“
Es gibt vier Subgruppen von Medulloblastomen. Remke war, damals noch Doktorand, an ihrer Klassifizierung beteiligt. Zwei davon heißen Wnt und SHH. Sie sind nach den Genen benannt, die jeweils außer Kontrolle geraten sind. Die anderen beiden werden bisher unter den Namen Gruppe 3 und Gruppe 4 geführt.
Bei diesen beiden Gruppen ist bisher nicht bekannt, welche Stoffwechselwege außer Kontrolle geraten sind. Analysiert man ihr Genom, also die DNA, oder die Abschriften davon, die als mRNA bezeichnet werden und in ihrer Gesamtheit das sogenannte Transkriptom bilden, erhält man keine eindeutigen Ergebnisse. Zu zahlreich und uneinheitlich sind die zugrundeliegenden Veränderungen. Die relevanten Unterschiede bleiben verborgen.
Marc Remke untersucht deshalb inzwischen die Proteinexpression. Er schaut sich also an, in welcher Menge und zu welchem Zeitpunkt die Zellen bestimmte Proteine herstellen. „Alle Studien an DNA und RNA zielen letztendlich darauf ab, indirekt etwas über die Menge und Aktivität von Proteinen zu erfahren“, sagt Remke. „Wir schauen uns das direkt an.“ Mit diesem Ansatz konnte er herausfinden, welcher Signalweg bei den Medulloblastomen der Gruppe 4 übermäßig aktiviert ist.
Tumorzellen zerstören, gesundes Gewebe schonen
Bald könnten Patienten mit diesen Tumoren von neuen Behandlungskonzepten profitieren. „Molekulare Zielstrukturen, an denen Therapeutika ansetzen, sollten in allen Tumorzellen vorkommen, denn dann ist es unwahrscheinlicher, dass sich Resistenzen bilden. Hirntumoren sind auf genetischer Ebene jedoch keine homogene Einheit, sondern es gibt innerhalb ein und desselben Tumors große Unterschiede“, beschreibt Remke eine entscheidende Hürde bei der Entwicklung zielgerichteter Therapien. „Die Verteilung von Proteinen innerhalb ein und desselben Tumors ist dagegen sehr viel homogener. Damit können wir den Tumor an der Wurzel packen und Patienten zusätzliche Biopsien ersparen“, betont Remke. Ein weiteres Forschungsprojekt Remkes sind sogenannte AT/RT-Hirntumoren. Auch diese Art von Krebs ist hochaggressiv und tritt fast ausschließlich bei Neugeborenen und Kleinkindern auf. Die mittlere Überlebensrate beträgt zurzeit weniger als zwei Jahre.
Remkes Arbeitsgruppe will neue Wirkstoffmoleküle entdecken, die Tumorzellen gezielt zerstören, gesundes Gewebe aber nicht beeinträchtigen. Auch hier kommt es wieder darauf an, einzelne Subgruppen von AT/RT unterschiedlich zu behandeln.
Remke liegt die klinische Relevanz seiner Ergebnisse besonders am Herzen. Um die Patientenversorgung und seine Forschung verbinden zu können, hat er sich für den Karriereweg als Nachwuchsgruppenleiter im DKTK entschieden. Was er in der Tumorsprechstunde hört oder in Krankenakten liest, gibt ihm Inspiration für seine wissenschaftliche Arbeit. „Ich kann mitbestimmen, in welche Richtung sich die medizinische Forschung bewegt, und helfe damit direkt meinen Patienten“, erklärt Remke seine Motivation.
Doch bisher entscheiden sich nur sehr wenige Medizinstudenten für diesen Karriereweg. Ein Grund: Der Zeitaufwand ist enorm. Zum Aufbau seines Labors war Marc Remke von der klinischen Arbeit freigestellt. Inzwischen absolviert er gleichzeitig eine Facharztausbildung und leitet eine Arbeitsgruppe mit 12 Personen. „Ich habe mich bewusst für diesen Karriereweg im DKTK entschieden, weil er einen einzigartigen Zugang zu einem Netzwerk an exzellenten Wissenschaftlern und forschenden Ärzten sowie hervorragende Zukunftsperspektiven bietet“, sagt der junge Arzt.
// Claudia Doyle