Darmkrebs - jeder kann sich aktiv davor schützen
Epidemiologen vom DKFZ haben herausgefunden: Eine vorsorgliche Darmspiegelung trägt wirksam dazu bei, dass weniger Menschen an Darmkrebs erkranken und versterben.
Etwa fünf Jahre ist es her, dass Gregory Emerson sich in der internistischen „Praxis am Park“ in Heidelberg einem Eingriff unterzog, der ihm vielleicht das Leben rettete und sicherlich viel Leid ersparte. Im Rahmen einer Dickdarmspiegelung entdeckte Dr. Johann-Thomas Schmidt eine Geschwulst und entfernte sie noch während der Untersuchung. Unter dem Mikroskop zeigte sich: Das entnommene Gewebe war an seiner Oberfläche bereits entartet. „Ein halbes Jahr später wäre Herr Emerson mit Sicherheit an Darmkrebs erkrankt“, sagt Schmidt. So habe der Arzt die Geschwulst noch rechtzeitig entfernen und seinen Patienten dadurch vor der Krankheit bewahren können.
Darmtumoren sind in Deutschland bei Frauen die zweit- und bei Männern die dritthäufigste Krebsart, über 60 000 Menschen erkranken, 25 000 Menschen sterben jedes Jahr daran. Die Abteilung Klinische Epidemiologie und Alternsforschung am DKFZ legt einen besonderen Fokus auf diese Krankheit und deren Vorsorge. Regelmäßig führen die mehr als 50 Mitarbeiter unter der Leitung von Hermann Brenner und seines Stellvertreters Michael Hoffmeister große Studien mit mehreren Tausend Teilnehmern durch, um zum Beispiel herauszufinden, welche Faktoren an der Entstehung eines Darmtumors beteiligt sind, oder welche Maßnahmen sein Auftreten wirksam vermeiden können. Eine dieser Studien brachte aktuell beeindruckende, wenn auch seitens der Epidemiologen durchaus erwartete Ergebnisse.
Seit 2002 haben in Deutschland Personen ab 55 Jahren Anspruch auf zwei vorsorgliche Dickdarmspiegelungen, sogenannte Vorsorge-Koloskopien, die in einem Abstand von zehn Jahren angeboten werden. In vielen Fällen, wie bei Emerson, finden sich schon lange bevor das Gewebe bösartig wird, Krebsvorstufen in der Schleimhaut. Diese sogenannten Polypen können die Mediziner während der Untersuchung problemlos mit einer kleinen Schlinge am Endoskop entfernen. Wie groß das Risiko dieser Wucherungen ist, zu entarten, zeigt sich erst unter dem Mikroskop. Ärzte raten deshalb schon seit langem, die Vorsorge-Koloskopie in Anspruch zu nehmen, um bösartige Geschwulste und ihre Vorstufen frühzeitig erkennen und entfernen zu lassen. Brenner und seine Abteilung waren ebenfalls schon lange von deren Nutzen überzeugt. Doch weil Darmkrebs vergleichsweise langsam wächst, treten bevölkerungsweite Effekte erst einige Jahre nach Einführung eines Screeningprogramms auf. Nun konnten die Forscher untermauern, wie positiv sich das Angebot auswirkt. Dazu werteten sie Daten von epidemiologischen Krebsregistern und der amtlichen Todesursachenstatistik aus den Jahren 2003 bis 2012 aus. Sie stellten fest, dass sowohl die Zahl der Neuerkrankungen als auch die der Todesfälle durch Darmkrebs in dieser Zeit deutlich gesunken sind. Zwar hatten insgesamt nur weniger als ein Drittel der infrage kommenden Personen das Angebot der Vorsorgeuntersuchung tatsächlich genutzt, dennoch nahm die Zahl der Darmkrebsfälle und -todesfälle seit Einführung der vorsorglichen Koloskopien deutlich ab. Die altersstandardisierte Neuerkrankungsrate sank um etwa 14 Prozent, die Darmkrebs-Sterblichkeit sogar um fast 21 Prozent bei Männern und um über 26 Prozent bei Frauen. Dass dieser Effekt mit großer Wahrscheinlichkeit auch auf das Vorsorgeangebot zurückzuführen ist, zeigt der Vergleich der Altersgruppen. Denn nur bei Menschen im Alter zwischen 55 und 84 Jahren verringerte sich das Erkrankungsrisiko, und zwar um etwa ein Viertel. Bei den unter 55-Jährigen hingegen nahm es insgesamt sogar zu. Auch eine andere, noch andauernde Studie der Epidemiologen am DKFZ zeigt den Nutzen der flächendeckenden Untersuchung. Im Rahmen der DACHS-Studie (der Name steht für „Darmkrebs: Chancen der Verhütung durch Screening“) befragen die Wissenschaftler Darmkrebspatienten und zufällig ausgewählte Vergleichspersonen. Dabei arbeiten sie mit einer großen Zahl von medizinischen Kliniken und Zentren zusammen. Zwar schließt die Studie noch bis 2021 weitere Patienten ein, aber schon jetzt half sie den Epidemiologen, die Darmkrebsvorsorge zu bewerten und zu verbessern.
Die Chance unbedingt nutzen
„Darmkrebs ist eine der wenigen bösartigen Erkrankungen, bei denen jeder tatsächlich aktiv etwas tun kann“, fasst Hoffmeister die bisherigen Ergebnisse zusammen, „sowohl, um ihn zu vermeiden, als auch, um ihn früh zu erkennen.“ Diesen Rat hatte auch Emerson seiner Frau, Janice Keller, gegeben. Seit seiner eigenen Untersuchung drängte er sie, ebenfalls zu einem Gastroenterologen zu gehen. Doch Keller schob das vor sich her. Zum einen habe sie Angst vor einem positiven Befund gehabt, erzählt sie heute. Ihr Vater war mit 42 Jahren an einem bösartigen Dickdarmtumor verstorben, und bei diesen Tumoren spielen erbliche Faktoren eine besonders große Rolle. Zum anderen schreckten sie auch die zwei Liter Abführlösung, die sie vor der Darmspiegelung trinken musste.
Doch vor einiger Zeit lief das ursprünglich aus Amerika stammende, in Heidelberg lebende Ehepaar zufällig an der Praxis von Schmidt und seinem Kollegen Thorsten Schlenker vorbei. Emerson nutze die Gelegenheit. „Ich führte meine Frau in die Praxis, um endlich einen Termin für sie zu vereinbaren“, erzählt er. In der daraufhin durchgeführten Darmspiegelung entdeckte Schmidt einen bereits ziemlich großen Polypen, den er ebenfalls gleich entfernte und der zum Glück noch nicht entartet war. Heute ist Keller „very happy“, dem Rat ihres Mannes gerade noch rechtzeitig gefolgt zu sein. Wegen der Erkrankung ihres Vaters hätte ihr bereits viel früher eine Koloskopie zugestanden. Von der Untersuchung hat sie übrigens dank einer Schlafspritze nichts mitbekommen.
Das 2013 beschlossene Krebsfrüherkennungs- und -registergesetz soll zukünftig dazu beitragen, dass noch mehr Menschen die Darmkrebsvorsorge nutzen. „Das Gesetz schreibt vor, die Darmkrebsfrüherkennung bis 2017 in ein organisiertes Programm weiterzuentwickeln“, erklärt Brenner. Dann erhalten alle Berechtigten zum entsprechenden Zeitpunkt eine persönliche Einladung.
Alternativen zur Koloskopie
Schon fünf Jahre vor dem 55. Lebensjahr steht außerdem jedem eine jährliche Stuhluntersuchung auf verborgenes Blut zu. Bisher lassen sich damit aber vor allem die Vorstufen nicht zuverlässig genug aufspüren. Seit Oktober sind in Deutschland verbesserte immunologische Tests als Kassenleistung zugelassen. „Unsere Studien haben gezeigt, dass diese Tests einen deutlich größeren Anteil an Darmkrebs und dessen Vorstufen entdecken als der bisherige“, sagt Brenner. Für diese Tests sind ebenfalls persönliche Einladungen geplant. Damit erhalten auch Menschen, die sich nicht für eine Vorsorge-Koloskopie entscheiden können, die Möglichkeit, eine wirksame Darmkrebsvorsorge in Anspruch zu nehmen. Eine Darmspiegelung ist dann nur bei einem positiven Befund notwendig. „Die Koloskopie ist dennoch der Goldstandard“, so Brenner. Die immunologischen Tests müssen beispielsweise deutlich häufiger, nämlich regelmäßig alle ein bis zwei Jahre, erfolgen. Und auch ein Ergebnis der DACHS-Studie spricht dafür, den etwas größeren Aufwand zu betreiben: Eine Darmspiegelung ohne Befund beruhigt auf lange Sicht. Denn dann ist das Risiko, an Darmkrebs zu erkranken, im folgenden Jahrzehnt und meist sogar darüber hinaus sehr gering.
// Dorothee Schulte