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Strategische Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit

"Wir stochern nicht mehr im Dunkeln!"

In der zielgerichteten Krebstherapie zählen Kinaseinhibitoren zu den wichtigsten Wirkstoffen. Ein Team um Bernhard Küster hat am DKTK-Standort München mit einer bahnbrechenden Arbeit zahlreichen dieser Moleküle neue Funktionen zugewiesen. Patienten könnten dadurch schon bald von neuen Therapien profitieren.

© Bernhard Küster/ Technische Universität München

Jede Geschichte braucht einen Anfang, und diese beginnt mit einem erfreulichen Fehler. Der US-amerikanische Mediziner Peter Nowell, angestellt an der Universität von Pennsylvania, erforschte in den 1950er Jahren die Ursache von chronisch myeloischer Leukämie (CML). Die Erkrankung war damals unheilbar, die Diagnose glich einer Todesbotschaft. Nowell wollte sich damit nicht abfinden.

Der Mediziner entnahm Krebspatienten Leukämiezellen und ließ sie auf kleinen Platten wachsen. Dann spülte er die Zellen mit Wasser – anstatt wie vorgesehen mit einer speziellen Lösung. Durch das Wasser dehnten sich die Chromosomen aus und wurden unter dem Mikroskop gut sichtbar. „Ich wusste zwar nichts von Chromosomen, aber es wäre doch schade gewesen, das wegzuwerfen“, sagte Nowell später gegenüber der örtlichen Zeitung. Schade ist eine Untertreibung.

Gemeinsam mit zwei anderen Wissenschaftlern erkannte Nowell, dass die Tumorzellen von sieben CML-Patienten allesamt ein ungewöhnlich kleines Chromosom aufwiesen, später Philadelphia-Chromosom genannt. Inzwischen weiß man, wie dieses entsteht: Die beiden Chromosomen 9 und 22 brechen auseinander und werden falsch wieder verknüpft. Anschließend haften zwei Gene aneinander, die normalerweise nichts miteinander zu tun haben. Dies führt dazu, dass die Zelle ein unheilvolles, neues Protein bildet, das sich aus zwei sogenannten Kinasen zusammensetzt. Kinasen sind in eine Vielzahl zellulärer Prozesse involviert. Sie leiten beispielsweise Signale weiter und regulieren den Stoffwechsel der Zelle. Eine der beiden Kinasen in dem neu fusionierten Konstrukt trägt den Namen ABL. Sie ist normalerweise nur in bestimmten Situationen aktiv, unter anderem während der Zellteilung. In Kombination mit der zweiten Kinase arbeitet ABL jedoch ohne Unterbrechung und stimuliert die Teilung der Zellen ins Unermessliche. Blutkrebs entsteht.


Dieser Prozess ist kein Einzelfall. Das menschliche Genom verschlüsselt etwa 500 Kinasen. Weil diese Proteine zahlreiche Wachstumsprozesse regulieren, sind mutierte Kinasen häufig an der Entstehung von Krebs beteiligt. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass sie mögliche Angriffsziele für Krebsmedikamente darstellen.

Um die Jahrtausendwende kam ein Medikament namens Imatinib auf den Markt, das ABL blockiert. Gab man Mäusen mit chronisch myeloischer Leukämie Imatinib, beendeten die entarteten Zellen sofort ihre Teilung und starben. Die Mäuse waren geheilt. „Der Erfolg war spektakulär“, sagt Bernhard Küster, der am DKTK-Standort München den Lehrstuhl für Proteomik und Bioanalytik der Technischen Universität München innehat. Noch heute werden Patienten mit Imatinib behandelt.

Ein systematischer Ansatz

© Bernhard Küster/ Technische Universität München

Animiert durch diesen Erfolg stürzten sich viele Pharmafirmen in die Forschung an Kinaseinhibitoren. Heute sind bereits 37 unterschiedliche Moleküle für die Therapie zugelassen, über 250 weitere befinden sich aktuell in der klinischen Entwicklung. Das Problem dabei: Von vielen Kinaseinhibitoren ist unbekannt, wie sie eigentlich wirken. Zudem kann ein und dieselbe Kinase an ganz unterschiedlichen Krebsarten beteiligt sein. Systematisch erforscht wurde das bei den allermeisten nicht. Stattdessen verließ man sich auf das Prinzip des Ausprobierens. Fand man einen Stoff, der beispielsweise Brustkrebspatienten half, wurde er auch an Patienten mit anderen Krebsformen getestet. „Daran ist an sich nichts falsch, so werden schon seit Jahrhunderten Medikamente entdeckt“, sagt Küster. „Aber ich wollte es systematischer machen und die Palette an Anwendungsmöglichkeiten für die Patienten erweitern.“

Bisher standen vor allem Analysen des Genoms im Mittelpunkt der Krebsforschung. Doch sie allein zeichnen ein unvollständiges Bild. Das Genom verrät nur, in welchen Genen Mutationen vorkommen, nicht aber in welcher Menge ein mutiertes Protein dann gebildet wird. „Das erkennt man nur, wenn man sich die Proteine selbst anschaut“, sagt Küster. „Wir brauchen die Informationen von beiden Methoden!“

Hunderte Kinasen – drei Jahre Arbeit

© Bernhard Küster/ Technische Universität München

Küster wagte sich an ein Mammutprojekt. Er untersuchte die Interaktion von 243 bereits klinisch erprobten Kinaseinhibitoren mit hunderten Kinasen. An der Analyse beteiligten sich Experten unterschiedlichster Disziplinen. Drei Jahre haben die Arbeiten gedauert. Die Wissenschaftler hatten sich das Ziel gesetzt, nicht nur ausgewählte, künstlich hergestellte Proteine zu untersuchen, sondern die Gesamtheit aller Proteine in einer Zelle, das sogenannte Proteom. Sie ließen dazu den Zellinhalt von Leukämie-, Hirntumor- und Darmkrebszellen mitsamt aller Proteine über kleine Kügelchen laufen, auf denen Kinaseinhibitoren fixiert waren. Der Großteil der Proteine rauschte darüber hinweg und an den Kinaseinhibitoren vorbei. Einige blieben haften. Alle Proteine, die an die Inhibitoren banden, wurden dann mithilfe von Massenspektrometern identifiziert. Über 5000 Stunden Messzeit waren dazu am Ende notwendig. Anschließend analysierten Bioinformatiker die gewaltigen Datensätze.

Dabei zeigten sich zwischen den einzelnen Kinaseinhibitoren große Unterschiede. Manche gingen ganz spezifisch nur mit einem oder wenigen Proteinen eine Bindung ein. Andere hielten gleich hundert verschiedene Proteine fest.

Neue Anwendungen für bewährte Medikamente

Der Aufwand hat sich gelohnt: Küsters Team fand zahlreiche neue Anwendungsgebiete für altbekannte Moleküle. Ein Beispiel ist der Kinaseinhibitor Cabozantinib. Bisher bekämpfte man damit nur Schilddrüsenkrebs und fortgeschrittenen Nierenkrebs. Die neuen Ergebnisse zeigen, dass Cabozantinib auch gegen eine Kinase wirkt, die an der Entstehung von akuter myeloischer Leukämie (AML) beteiligt ist. Versuche mit Mäusen bestätigten dies: Der Hemmstoff verlangsamte bei den Tieren das Wachstum der Leukämiezellen drastisch. „Wir stochern nicht mehr im Dunkeln“, freut sich Küster über den Erfolg, „mit den Ergebnissen können wir und andere Wissenschaftler direkt in neue klinische Studien einsteigen.“ Denn eine der wichtigsten Hürden haben Cabozantinib und alle anderen getesteten Kinaseinhibitoren bereits genommen: Sie sind gut verträglich und verursachen keine übermäßig schweren Nebenwirkungen.

Eine interessante Erkenntnis war auch, wie viele Kinaseinhibitoren nicht besonders spezifisch wirken, sondern mit einer Vielzahl von Proteinen interagieren und dadurch zahlreiche grundlegende Stoffwechselwege in den Zellen beeinflussen. Nicht immer zum Vorteil der Patienten. „Es gibt Kinasen, die zu wichtig sind, als dass wir sie mit einem Medikament unterdrücken dürften“, erklärt Küster. Da jetzt die Bindungspartner der Kinaseinhibitoren bekannt sind, lassen sich Nebenwirkungen besser abschätzen oder erklären.

Deutlich wird dies am Beispiel des Inhibitors Vemurafenib. Er kommt bei Patienten mit schwarzem Hautkrebs zum Einsatz, wenn eine bestimmte Kinase für die Erkrankung mitverantwortlich ist. Bei etwa der Hälfte der Patienten wird die Haut infolge der Behandlung extrem lichtempfindlich und sie entwickeln starken Ausschlag. Durch die Arbeiten der Münchner Forscher lassen sich diese Nebenwirkungen nun erklären: Der Wirkstoff hemmt ungewollt auch ein Enzym, das an der Synthese des Blutfarbstoffs Häm beteiligt ist. Infolgedessen sammeln sich Vorstufen des Häms im Körper an und führen zu den unerwünschten Veränderungen der Haut.

Im Verbund des DKTK koordiniert Küster aktuell den Aufbau einer umfassenden Proteom-Datenbank, über die Forscher jetzt weltweit Zugang zu den Inhibitor-Datensätzen erhalten. Sie können sich beispielsweise anzeigen lassen, welche Inhibitoren eine bestimmte Kinase hemmen, wie effektiv sie dies tun und ob auch andere Kinasen beeinflusst würden.


Doch nur weil ein Kinaseinhibitor im Reagenzglas Wirkung zeigt, heißt das nicht automatisch, dass er auch für eine erfolgreiche Therapie beim Menschen taugt. Dafür sind Tumoren viel zu komplex. Manche lassen die Kinaseinhibitoren nicht eindringen, andere werfen spezielle Pumpen an und transportieren die Moleküle sofort wieder hinaus. Wieder andere Krebszellen verstecken sich so gut inmitten von gesunden Zellen, dass die Wirkstoffe gar nicht bis zu ihnen vordringen.

Außerdem, das darf man nie vergessen, mutieren Krebszellen unglaublich schnell. Eine einzige Veränderung im Bauplan der Proteine reicht aus, damit ein Kinaseinhibitor seine Wirksamkeit verliert. Deshalb hat das Erfolgsmolekül Imatinib inzwischen bereits zwei Nachfolger. Es ist ein stetiges Wettrennen.

// Claudia Doyle

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