Aspirin gegen Krebs?
Entzündungen erhöhen das Risiko für bestimmte Krebsarten. Da liegt die Idee nahe, entzündungshemmende Medikamente wie Aspirin in der Krebsvorsorge einzusetzen. Experten raten aber zur Vorsicht.
Welche Hinweise gibt es, dass Aspirin Krebs vorbeugt?
„Unser täglich Aspirin gib uns heute“, lautete der Titel zu einem Beitrag im Schweizerischen Fernsehen, nachdem im Jahr 2015 eine unabhängige Expertengruppe in den USA die regelmäßige Einnahme von Aspirin empfahl – zumindest für einen Teil der Bevölkerung. 50- bis 59-Jährige, die ein erhöhtes Risiko für Herzleiden haben, jedoch nicht zu Blutungen neigen, könnten davon profitieren, täglich niedrig dosiert Aspirin einzunehmen. Sowohl Herz-Kreislauf-Erkrankungen als auch Darmkrebs ließen sich dadurch vermeiden, und der zu erwartende Nutzen sei größer als die Gefahren durch Blutungen, die das Medikament im Magen-Darm- Trakt oder auch im Gehirn auslösen kann. Grundlage der Empfehlung waren unter anderem Analysen US-amerikanischer Wissenschaftler aus dem Jahr 2014. Sie kamen zu dem Schluss, dass Menschen, die über einen Zeitraum von mehreren Jahren regelmäßig Aspirin einnahmen, seltener an Darmkrebs erkrankten. Britische Forscher hatten bereits im Jahr 2010 untersucht, welchen Einfluss die langfristige Einnahme von Aspirin auf die Zahl der Todesfälle durch Krebs hat: Sowohl bei Darmkrebs als auch bei Magenkrebs, Speiseröhrenkrebs und Lungenkrebs nahmen die Sterbezahlen deutlich ab. Da die Studien allerdings ursprünglich auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen und nicht auf Krebs zugeschnitten waren, stellen die Daten jeweils nur einen Nebenbefund dar.
Wie wirkt Aspirin?
Schmerzen, Fieber und Entzündungen – das sind die klassischen Anwendungsgebiete von Aspirin. Auch als „Blutverdünner“ kommt das Medikament, oder genauer gesagt der Wirkstoff Acetylsalicylsäure (ASS), aufgrund seiner gerinnungshemmenden Wirkung zum Einsatz. Dass das Medikament sowohl gegen Schmerzen hilft als auch die Blutgerinnung beeinflusst, ist auf die Rolle bestimmter Gewebshormone zurückzuführen, die an all diesen Prozessen beteiligt sind: die Prostaglandine. Kommt es beispielsweise zu einer Verletzung, werden die Botenstoffe an der betroffenen Stelle ausgeschüttet. Sie sorgen dann nicht nur für ein Schmerzsignal, das auf die Verletzung aufmerksam macht, sondern helfen auch dabei, die Wundheilung einzuleiten. ASS greift unter anderem in diese Vorgänge ein, indem es zwei Enzyme hemmt, die an der Herstellung der Prostaglandine beteiligt sind: Cox-1 und Cox-2. Blockiert ASS ihre Arbeit, stehen weniger Prostaglandine zur Verfügung – als Folge lässt der Schmerz nach, und die Entzündungsreaktion wird unterdrückt.
Wie wirkt Aspirin gegen Krebs?
Die molekularen Mechanismen, wie Aspirin vor Krebs schützen kann, sind noch weitgehend unbekannt. Eine mögliche Erklärung liegt in der entzündungshemmenden Wirkung des Medikaments. Chronische Entzündungen fördern zumindest bei einigen Krebsarten das Wachstum der Tumoren und ihre Ausbreitung im Körper. So regen manche Entzündungsbotenstoffe die Krebszellen zur Teilung an oder verhindern ihren Zelltod. Indem ASS mit Cox-2 ein Enzym blockiert, das die Entzündungsreaktion unterstützt, könnte es das Wachstum des Tumors bremsen. Einige Wissenschaftler favorisieren jedoch eine andere Erklärung: Sie gehen davon aus, dass der Einfluss des Wirkstoffs auf die Blutgerinnung und speziell auf die Blutplättchen entscheidend ist. Letztere heften sich an frei im Blut schwimmende Krebszellen und bedecken ihre Oberfläche. Das Immunsystem kann die Tumorzellen dann möglicherweise nicht mehr erkennen und folglich auch nicht bekämpfen. ASS erschwert es den Blutplättchen, sich an die Krebszellen zu heften, wodurch diese für die Immunzellen wieder sichtbar werden. Hinzu kommt, dass Krebszellen, die von Blutplättchen umgeben sind, vermutlich leichter durch die Wände der Blutgefäße treten und dadurch in fremdes Gewebe gelangen. ASS könnte somit auch verhindern, dass ein Tumor Metastasen bildet.
Wozu raten die Experten?
Viele Experten sehen den vorsorglichen Einsatz von Aspirin kritisch, denn einige wichtige Fragen sind noch unbeantwortet. Solange zum Beispiel der Wirkmechanismus unklar ist, können die Wissenschaftler kaum abschätzen, welchen Personen die dauerhafte Einnahme von Aspirin zu empfehlen ist und welchen nicht. Denn der Stoffwechsel ist von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich, und Medikamente wirken nicht bei jedem gleich. Schon die Analysen von 2014 hatten gezeigt, dass die persönlichen genetischen Voraussetzungen mit darüber entscheiden, ob Aspirin einer Krebserkrankung vorbeugen kann. Neue Studien müssten nicht nur die Frage klären, warum das so ist, sondern unter anderem auch, wie hoch im Einzelfall die tägliche Dosis sein sollte. Einig sind sich die Experten jedenfalls darin, dass man mit Blick auf die Nebenwirkungen nicht auf eigene Faust täglich zur Tablette greifen sollte.
// Frank Bernard