Feuer und Flamme
Chronische Entzündungen tragen dazu bei, dass Tumoren entstehen, wachsen und sich im Körper verbreiten. Die Abteilung von Mathias Heikenwälder erforscht am DKFZ die Zusammenhänge und sucht nach Ansatzpunkten für künftige Therapien.
Mathias Heikenwälder leitet seit fast zwei Jahren die Abteilung „Chronische Entzündung und Krebs“. Beim Gang durch die Labore des 40 Jahre jungen Österreichers trifft man nicht nur auf dessen engagiertes Team, sondern erhält auch einen Blick auf die technische Ausstattung – und die ist beeindruckend: So können beispielsweise Gewebeschnitte vollautomatisch gefärbt, mehrere Antikörper unter verschiedenen Bedingungen gleichzeitig getestet und das Verhalten von einzelnen Zellen im Gewebe genau analysiert werden. Besonders stolz sind die Forscher auf die „Kalorimetrische Messstation“: „Hier erfassen wir bei bis zu 20 Mäusen gleichzeitig alle metabolisch relevanten Parameter“, erklärt der Laboringenieur Tjeerd Sijmonsma. „Wir messen zum Beispiel kontinuierlich, wie viel jede Maus atmet und ausscheidet, was sie isst und trinkt und erfassen mit mehreren Infrarotschranken ihre Aktivität.“
Doch wofür brauchen Heikenwälder und seine Mitarbeiter diese Ausstattung? „Meine Gruppe hat sich spezialisiert auf Krebs, der durch Entzündungen ausgelöst wird.“ Die Forscher untersuchen, welche Mechanismen genau hinter den Prozessen stecken, die von einer chronischen Entzündung über Gewebeschäden zu Krebs und Metastasen führen.
Heikenwälders Interesse für das Thema stammt aus der Zeit seiner Doktorarbeit, für die er am Universitätsspital Zürich an Prionen forschte. Bei deren Vervielfältigung spielen Entzündungen eine besondere Rolle. Ebenfalls in Zürich leitete er nach seiner Habilitation eine Arbeitsgruppe mit dem Schwerpunkt „Entzündungen und Gewebeschäden“, bevor er dann Nachwuchsgruppenleiter am Helmholtz Zentrum München und W2-Professor an der TU München wurde und 2015 schließlich die neu etablierte Abteilung „Chronische Entzündungen und Krebs“ am DKFZ übernahm.
Forschungsobjekt Leber
Eines der in der Abteilung am intensivsten untersuchten Forschungsobjekte ist die Leber mit ihren Erkrankungen. Ein Problem in Industrienationen ist die zunehmende Zahl von Patienten mit Fettleber. Neben Alkoholmissbrauch oder einem gestörten Fettstoffwechsel ist übermäßiger Konsum von Fett und Kohlenhydraten die Hauptursache. Man spricht dann von einer nicht-alkoholischen Fettleber. „In einer Fettleber können die Leberzellen, die Hepatozyten, nicht mehr alle ihre Funktionen ausführen“, erklärt Heikenwälder. „In der Europäischen Union leiden rund 40 bis 50 Millionen Menschen darunter – rund sechs Prozent der Bevölkerung, in den USA sogar 90 Millionen – das ist fast ein Drittel.“ Aus einer solchen Fettleber kann sich eine Fettleberentzündung entwickeln – die sogenannte nicht-alkoholische Steatohepatitis (NASH). Sie kann zu Leberzirrhose und zu Leberzellkrebs führen, dem Hepatozellulären Karzinom. Neben chronischen Virusinfektionen sind Fettleberentzündungen die häufigste Ursache von Leberkrebs. Inzwischen ist dieser Tumor nach Lungenkrebs die zweithäufigste Krebstodesursache weltweit und in den USA zugleich die am schnellsten zunehmende Krebsart. „Für Leberkrebs gibt es bis heute kaum eine Heilungschance oder eine wirklich effiziente Therapie“, so Heikenwälder.
Doch wie entsteht aus einer Fettleber Krebs? „Das wissen wir immer noch nicht genau“, so der Forscher. Innerhalb eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Sonderforschungsbereiches und unterstützt durch den Europäischen Forschungsrat ERC möchten die Wissenschaftler diese Mechanismen nun erforschen. Doch dazu – und auch um dann Medikamente zu entwickeln – brauche man geeignete experimentelle Modelle in Tieren, die die humane Pathologie widerspiegeln. „Andernfalls bieten die Daten aus dem Labor keine gute Grundlage für klinische Studien“, betont Heikenwälder. Mehrere solcher Modelle für verschiedene chronische Entzündungen beim Menschen konnten die Forscher bereits in Mäusen entwickeln.
An Tieren, die aufgrund fettreicher Diät und wenig Bewegung fettleibig werden, lässt sich beispielsweise beobachten, wie NASH-induzierter Leberkrebs entsteht. „Spannend ist, dass sich bei den fettleibigen Mäusen die Leber entzündet. Dieselbe Entzündung sehen wir auch bei Menschen, wenn sie NASH haben“, erklärt Heikenwälder. Die Verfettung der Leber, die Leberschädigung und die Entzündung schaukeln sich gegenseitig hoch: Die Leberzellen bauen das Fett aus dem Blut nicht mehr ab, sondern lagern es ein. Immunzellen wandern in die Leber ein und zwingen die Leberzellen dazu, ihren Fettstoffwechsel einzustellen. Dadurch wird die Leber noch fetter. Die Folgen sind dramatisch: „Ein Drittel dieser Mäuse bekommt Krebs – ohne dass wir ein Gen verändern oder ihnen eine krebsauslösende Substanz geben, nur durch die fetthaltige Diät, den Leberschaden und die ausgelöste Entzündung“, so Heikenwälder.
Immunzellen beeinflussen Leberzellen
Genetische und histologische Analysen bestätigten schließlich, dass das Modell die Krankheit des Menschen sehr genau widerspiegelt. Deren Mechanismen können die Forscher nun im Detail an den Tieren untersuchen. So legten sie bei den NASH-Mäusen die erworbene Immunantwort still, indem sie alle B- und T-Zellen entfernten, sodass in der Leber keine Entzündung entstehen konnte. „Diese Mäuse ohne Immunzellen werden durch eine fettreiche Diät zwar fettleibig, aber sie bekommen keine Fettleber und damit auch keine Vorstufen für Leberkrebs“, so Heikenwälder. Dann stellte sich die Frage: Welche Immunzellen genau sind dafür verantwortlich? „Durch genetische Experimente haben wir zwei Immunzelltypen gefunden: CD8-T-Zellen und Natürliche Killer-T-Zellen.“ Diese Zellen sorgen dafür, dass Leberzellen ihren Stoffwechsel reduzieren. „Und: Sie sind auch bei NASH-Patienten aktiviert.“
Aber diese Immunzellen haben nicht nur eine krankheitsfördernde Wirkung. Der Doktorand Dominik Pfister beschäftigt sich mit den CD8-T-Zellen genauer. Pfister begann seine Doktorarbeit bei Heikenwälder in München und wechselte dann mit ihm nach Heidelberg. Der Biochemiker untersucht, wie die Immunzellen aktiv werden und gegen was sie gerichtet sind. „Erste Daten deuten darauf hin, dass CD8-T-Zellen am Anfang noch die Krankheit NASH verhindern, später greifen sie die Hepatozyten an. Ist dann Leberzellkrebs entstanden, haben die T-Zellen wieder ihre klassische Antitumorfunktion“, erklärt Pfister.
Wie Immunzellen den Stoffwechsel von Leberzellen beeinflussen, untersucht Mira Stadler in ihrer Doktorarbeit. Seit einem halben Jahr ist die Österreicherin, die in Wien Molekularbiologie und molekulare Medizin studiert hat, am DKFZ. Sie interessiert sich insbesondere für die Rolle der Cytokine. Natürliche Killer-T-Zellen schütten die kleinen Proteine aus, woraufhin die Leberzellen verstärkt Fette aufnehmen. Manche Cytokine aktivieren das Immunsystem und lösen Entzündungen aus, einige haben je nach Organ oder Umgebung krebsfördernde oder krebshemmende Wirkung. „Wir haben zwei Cytokine gefunden, die eine wichtige Rolle beim Übergang von Fettleber zu NASH und von NASH zu Leberkrebs spielen: Lymphotoxin und LIGHT“, so Stadler. Ihre genaue Funktion wollen die Forscher nun näher analysieren.
Auch der Postdoktorand Michael Meister untersucht ein Protein, das Einfluss auf entzündliche Reaktionen nimmt. Es trägt den ungewöhnlichen Namen Dickkopf-3. Während seiner Doktorarbeit erforschte Meister in der Abteilung „Molekulare Immunologie“ am DKFZ die Rolle von Dickkopf-3 bei Autoimmunerkrankungen sowie bei chronisch-entzündlichen Nierenerkrankungen. Der Biochemiker brachte das Projekt mit in die Arbeitsgruppe von Heikenwälder und untersucht nun den Einfluss des Proteins auf chronische Entzündungen in der Leber und somit auch auf die Entstehung von Leberkrebs.
Verschiedene Therapieansätze
„Mit unseren Mausmodellen, die verschiedene Krankheiten beim Menschen repräsentieren, können wir auch mögliche Therapien testen“, erklärt Heikenwälder. So hat seine Arbeitsgruppe zusammen mit Forschern aus München ein Hybridmolekül hergestellt und in der NASH-Maus getestet. Dazu kombinierten sie zwei Hormone: Thyroidhormon, das den Stoffwechsel reduziert, und Glukagon, das in der Leber wirkt. „Mit diesem Fusionsmolekül haben wir zum ersten Mal eine Substanz in die Leber gebracht, die den Stoffwechsel reduziert. Dadurch geht auch die Entzündung zurück, und die Hepatozyten können wieder arbeiten.“ Derzeit testet die Münchner Gruppe, wie die Substanz beim Menschen wirkt.
„Allerdings sollten mögliche Therapeutika Menschen mit Fettleber nicht davon abhalten, gesünder zu essen und sich mehr zu bewegen. Denn auch so können sie einer Verschlimmerung entgegenwirken“, betont Heikenwälder und fügt hinzu: „Prävention ist sehr wichtig.“
// Maren Schenk