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Genetische Ursachen von Speicheldrüsentumoren aufgedeckt

Nr. 03c | 22.01.2019

Unter den verschiedenen bösartigen Formen von Speicheldrüsenkrebs ist das Azinuszellkarzinom die dritthäufigste. Diese Tumoren ähneln normalem Speicheldrüsengewebe und treten vor allem in der Ohrspeicheldrüse auf. Die molekularen Ursachen der Erkrankung waren bisher unbekannt. Wissenschaftler vom Deutschen Krebsforschungszentrum, vom Universitätsklinikum Erlangen der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), sowie vom Berlin Institute of Health (BIH) konnten diese nun aufklären.

Mikroskopische Aufnahme eines Azinuszellkarzinoms der Speicheldrüse.
© Universitätsklinikum Erlangen/Abbas Agaimy

Mithilfe der Sequenzierung von Tumorerbgut haben die Wissenschaftler eine Umlagerung von genetischem Material, eine sogenannte Translokation, zwischen den Chromosomen 4 und 9 identifiziert, die in allen untersuchten Azinuszellkarzinomen vorlag. Typischerweise führen solche Translokationen in Tumoren zur Neukombination von Genen, die dann neue krebsauslösende Eigenschaften erwerben. Beim Azinuszellkarzinom führt die jetzt entdeckte Translokation hingegen dazu, dass regulatorische Elemente der DNA von einer aktiven Chromosomenregion zu einem normalerweise inaktiven Krebsgen verlagert werden.

Bei dieser ungewöhnlichen Form der Translokation stammen die regulatorischen Elemente aus einem Bereich, in dem Gene liegen, die Funktionen im Speichelsekret ausüben und die deswegen in Speicheldrüsenzellen hoch aktiv sind. Durch die Umlagerung gelangen diese stark aktiven regulatorischen Elemente in räumliche Nähe zu dem normalerweise nach Abschluss der Embryonalentwicklung abgeschalteten Gen NR4A3. Dieses wird durch die Aktivierungssignale der regulatorischen Elemente wieder angeschaltet. NR4A3 reguliert die Aktivität von zahlreichen weiteren Genen, die dann Zellteilung und -wachstum und damit auch das Tumorwachstum auslösen. Die Forscher konnten diesen Mechanismus durch molekulare Untersuchungen von Tumorgeweben und funktionelle Analysen an eigens hergestellten Zellkulturmodellen belegen.
„Mit den neuen Erkenntnissen können wir Azinuszellkarzinome der Speicheldrüse besser diagnostizieren und die biologischen Grundlagen der Tumorentstehung verstehen. Wir hoffen langfristig, ausgehend von diesen neuen Erkenntnissen, auch neue Therapieansätze für die Patienten entwickeln zu können", erklärt Florian Haller vom Institut für Pathologie der FAU. Ähnliche genetische Umlagerungen von regulatorischen Elementen der DNA als Entstehungsursachen von bösartigen Tumoren wurden kürzlich auch bei einer Form von kindlichen Hirntumoren beobachtet und dort als „Enhancer-Hijacking" bezeichnet.

Kooperationen über Institutsgrenzen hinweg
Dass die Forscher die molekularen Ursachen jetzt klären konnten, liegt dabei in der Kooperation mit anderen Instituten begründet, wie Stefan Wiemann vom Deutschen Krebsforschungszentrum, betont: „Unsere Studie zeigt, wie erfolgreich die Verknüpfung von molekularen und funktionellen Untersuchungen klinische Fragestellungen in einer engen wissenschaftlichen Zusammenarbeit zwischen großen Forschungsinstituten und klinischen Einrichtungen beantworten kann." Abbas Agaimy, Institut für Pathologie der FAU, fügt hinzu: „Die Ergebnisse dieser Studie verdeutlichen eindrucksvoll den Zusammenhang zwischen histomorphologischer Tumorerscheinung, also dem Phänotyp, und der zugrundeliegenden genetischen Veränderung, dem Genotyp. Bei der relativen Seltenheit von Speicheldrüsentumoren war diese Studie nur in Zusammenarbeit mit einer großen HNO-Klinik mit überregionalem exzellentem Ruf und hohen Patientenzahlen möglich." Und auch Matthias Bieg vom Berlin Institute of Health (BIH) sagt: „Diese Studie zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, Forscher aus verschiedenen Bereichen zusammenzubringen. Nur durch die fruchtbare Kooperation konnten wir die bestmöglichen Ergebnisse aus den zugrundeliegenden Daten extrahieren. Wir haben in dieser interdisziplinären Zusammenarbeit gezeigt, dass die Umlagerung von epigenetischen Kontrollelementen einen großen Einfluss auf die Entstehung von Tumoren haben kann."

Florian Haller, Matthias Bieg, Rainer Will, Cindy Körner, Dieter Weichenhan, Alexander Bott, Naveed Ishaque, Pavlo Lutsik, Evgeny A. Moskalev, Sarina K. Mueller, Marion Bähr, Angelika Woerner, Birgit Kaiser, Claudia Scherl, Marlen Haderlein, Kortine Kleinheinz, Rainer Fietkau, Heinrich Iro, Roland Eils, Arndt Hartmann, Christoph Plass, Stefan Wiemann & Abbas Agaimy Enhancer hijacking activates oncogenic transcription factor NR4A3 in acinic cell carcinomas of the salivary glands
Nature Communications 2018, DOI https://doi.org/10.1038/s41467-018-08069-x

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, Interessierte und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.

Um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Patientinnen und Patienten zu verbessern, betreibt das DKFZ gemeinsam mit exzellenten Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland Translationszentren:

  • Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT, 6 Standorte)
  • Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK, 8 Standorte)
  • Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) Heidelberg
  • Helmholtz-Institut für translationale Onkologie (HI-TRON) Mainz – ein Helmholtz-Institut des DKFZ
  • DKFZ-Hector Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim
  • Nationales Krebspräventionszentrum (gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe)
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

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