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Selbst ist der Thymus: Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrums widerlegen Dogma der Immunologie

Nr. 38 | 10.07.2012 | von Sel

Die so genannten T-(Thymus-abhängigen) Lymphozyten, eine bestimmte Sorte weißer Blutzellen, stammen wie alle anderen Blutzellen von Vorläuferzellen aus dem Knochenmark ab. Im Thymus, einem immunologischen Organ im Brustkorb, reifen die Zellen dann zu aktiven Immunzellen heran. Nach bisheriger Lehrmeinung kann der Thymus ohne ständigen Nachschub aus dem Knochenmark keine T-Zellen produzieren. Wissenschaftler aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg konnten dieses Dogma nun widerlegen – offenbar ist der Thymus auch ohne Nachschub aus dem Knochenmark für mehrere Monate in der Lage, reife T-Zellen zu erzeugen. Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftler soeben im Journal of Experimental Medicine veröffentlicht.

Histologischer Schnitt durch einen Thymus
© dkfz.de

Der Thymus ist ein etwa faustgroßes Organ im Bereich des Brustbeins. Er ist zentraler Bestandteil des Immunsystems, in ihm reifen die so genannten T-Lymphozyten zu aktiven Zellen des Immunsystems heran. Nur Zellen, die zwischen Fremd und Selbst unterscheiden können, dürfen den Thymus verlassen, damit sie infizierte oder entartete Zellen abtöten und gleichzeitig körpereigene Gewebe unbehelligt lassen.

"Normalerweise wandern die unreifen T-Vorläuferzellen aus dem Knochenmark in den Thymus ein, um dort heranzureifen", sagt Hans-Reimer Rodewald, der Leiter der Abteilung Zelluläre Immunologie im Deutschen Krebsforschungszentrum. "Wir wollten nun wissen was passiert, wenn der Thymus keine neuen Vorläuferzellen mehr erhält." Um das heraus zu finden, untersuchten Vera Martins, Hans-Reimer Rodewald und ihre Kollegen Mäuse, denen sämtliche Lymphozyten-Vorläuferzellen im Knochenmark aufgrund verschiedener genetischer Veränderungen fehlten. In diese Tiere transplantierten die Forscher einen Thymus aus einer normalen Maus. Sie erwarteten, dass der Spender-Thymus für etwa 4 Wochen eigene reife T-Zellen ins Blut der Empfängertiere abgeben würde, danach wären die Thymus-eigenen T-Zellen aufgebraucht und der Thymus würde degenerieren.

"Der geschätzte Zeitraum von vier Wochen hängt mit der Beobachtung zusammen, dass bei einer Thymus-Transplantation zwischen zwei normalen Tieren der Spender-Thymus nur etwa vier Wochen lang eigene T-Zellen in das Blut des Empfängers exportiert. Danach wandern Empfänger-eigene T-Vorläuferzellen aus dem Knochenmark in den Spender-Thymus ein und reifen dort heran", erklärt Rodewald.

Überraschenderweise produzierte der Spender-Thymus aber im vorliegenden Experiment für mindestens drei Monate weiter seine eigenen Spender T-Zellen. Offenbar existieren im Thymus unreife Vorläuferzellen, die bei ausbleibendem Nachschub aus dem Knochenmark sich selbst erneuern und aus denen weitere T-Zellen heranreifen können. Vermutlich dient der Thymus als "Reservoir", damit der Körper im Falle einer Schwäche des Knochenmarks nicht auf eine kontinuierliche Herstellung dieser wichtigen Abwehrzellen verzichten muss. Ob die erstaunliche Beobachtung auch für den Menschen zutrifft, ist noch nicht bekannt, doch "Thymus von Maus und Mensch sind sich in Bezug auf Struktur und Funktion sehr ähnlich", erklärt Rodewald.

Dass es bislang als ausgemacht galt, dass der Thymus nicht in der Lage ist, eigene T-Zellen auf Dauer zu produzieren, lag vermutlich an den bisher zur Verfügung stehenden Tiermodellen: "Es gab keine Mäuse, die überhaupt keine T-Zell Vorläuferzellen besitzen", erklärt Rodewald. "Deshalb konnten wir auch nicht herausfinden, was mit dem Thymus passiert, wenn er ohne Nachschub auskommen muss."

Als nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler nun herausfinden, welche Zellen es im Thymus sind, die sich ohne Nachschub zu den reifen T-Zellen entwickeln, und in welcher Nische des Thymus sie sich versteckt halten. "Das eröffnet ein völlig neues Forschungsgebiet für uns", sagt Rodewald, "und ich bin überzeugt, dass wir noch auf weitere Überraschungen stoßen werden."

Vera C. Martins, Eliana Ruggiero, Susan M. Schlenner, Vikas Madan, Manfred Schmidt, Pamela J. Fink, Christof von Kalle, and Hans-Reimer Rodewald: Thymus-autonomous T cell development in the absence of progenitor import, Journal of Experimental Medicine
doi: 10.1084/jem.20120846

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, Interessierte und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.

Um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Patientinnen und Patienten zu verbessern, betreibt das DKFZ gemeinsam mit exzellenten Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland Translationszentren:

  • Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT, 6 Standorte)
  • Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK, 8 Standorte)
  • Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) Heidelberg
  • Helmholtz-Institut für translationale Onkologie (HI-TRON) Mainz – ein Helmholtz-Institut des DKFZ
  • DKFZ-Hector Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim
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Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

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