In den biomedizinischen Wissenschaften sind in der Kulturschale wachsende Zellen unverzichtbar. Von der Krebsforschung bis zu den Neurowissenschaften, von der Immunologie bis zur Virologie: In allen denkbaren Disziplinen testen Wissenschaftler beispielsweise die Wirkung neuer Medikamente, die Reaktion auf Signalmoleküle oder das Infektionsverhalten von Erregern an Zellkulturen.
Doch häufig wächst in der roten Nährlösung nicht das, was die Forscher glauben vor sich zu haben: In der Hektik des Laboralltags kommt es vor, dass winzige Tröpfchen der Kulturlösung versehentlich von einem Gefäß ins andere übertragen werden. Gelangen auf diese Weise schnellwachsende Zellen in andere Kulturschalen, gewinnen sie rasch zahlenmäßig die Oberhand. Kritisch ist die Situation auch bei den genetisch variablen Krebszellen, die sich im Dauereinsatz im Laborversuch durch stetige Mutationen weiter entwickeln und nach einiger Zeit nicht mehr mit den Ausgangszellen übereinstimmen. Häufig ist aber auch einfach eine falsche Beschriftung Ursache des Problems.
„Ein großer Teil der oft kritisierten nicht-reproduzierbaren Ergebnisse in der biomedizinischen Forschung geht auf das Konto von verwechselten oder kontaminierten Zellen“, sagt Peter Lichter vom Deutschen Krebsforschungszentrum, der Herausgeber des International Journal of Cancer. „Je nach Schätzung sind bis zu 46 Prozent aller Zellkulturen falsch gekennzeichnet. Letztendlich verzögert das den medizinischen Fortschritt ganz erheblich.“
Allerdings sind die Wissenschaftler diesen Irrtümern nicht hilflos ausgeliefert. Es gibt Tests, die die Identität einer Zelllinie zweifelsfrei nachweisen, beispielsweise Analysen von genetischen Profilen (single nucleotide polymorphisms oder short tandem repeats). Das Deutsche Krebsforschungszentrum verpflichtet bereits seit 2013 Mitarbeiter, die Ergebnisse bei Fachzeitschriften zur Publikation einreichen, die verwendeten Zellen vorher einem solchen Test zu unterziehen.
Das vornehmlich von DKFZ-Forschern herausgegebene International Journal of Cancer (IJC) akzeptiert seit 2010 nur noch Arbeiten zur Publikation, wenn die Autoren ein genetisches „Echtheitszertifikat“ der verwendeten Zelllinien vorlegen. Das Fachmagazin zählt damit zu einer kleinen Gruppe von Zeitschriften, die eine Vorreiterrolle bei der Qualitätssicherung wissenschaftlicher Ergebnisse übernommen haben.
„Wir hatten zunächst Kontakt zu anderen wissenschaftlichen Zeitschriften und zu Forschungsförderorganisationen aufgenommen, um dieses Problem gemeinschaftlich anzugehen. Doch nachdem wir keinen Konsens erzielen konnten, hat der damalige Herausgeber Harald zur Hausen 2010 beschlossen, dass das IJC diesen Schritt allein geht“, so Lichter.
Für die Herausgeber des IJC war die Umstellung mit erheblichem zusätzlichem Arbeitsaufwand und Kosten verbunden, wie sie jetzt im online Forschungsmagazin PLOS Biology berichten*. Besonders zeitintensiv ist es, die Autoren über die erforderlichen Abläufe umfassend aufzuklären. „Aber es hat sich gelohnt“, so Peter Lichter. Während eine bekanntermaßen falsch deklarierte Zelllinie in Publikationen anderer Fachmagazine noch häufig verwendet wird, taucht sie im IJC bereits seit 2013 nicht mehr auf. „Das wichtigste ist, dass wir auf diese Weise zu echten Fortschritten in der Krebsforschung beitragen, die am Ende hoffentlich auch dem Patienten zugutekommen.“
*Norbert E. Fusenig, Amanda Capes-Davis, Franca Bianchini, Sherryl Sundell, Peter Lichter:
The need for a worldwide consensus for cell line authentication: Experience implementing a mandatory requirement at the International Journal of Cancer.
PLOS Biology 2017, doi.org/10.1371/journal.pbio.2001438