Eine neue Klasse von Krebsmedikamenten gilt Ärzten derzeit als vielversprechend. Diese Substanzen hemmen die Aktivität einer Gruppe von Enzymen, die an der Krebsentstehung beteiligt sind. Die so genannten HDAC-Enzyme legen im Erbgut Gene still. Von der Stilllegung betroffen sind auch viele der „Krebsbremsen“, die unkontrolliertes Wachstum von Tumorzellen verhindern könnten. Wirkstoffe gegen die HDAC-Enzyme verlangsamen das Zellwachstum und sensibilisieren die Krebszellen wieder für den programmierten Zelltod.
Beim Menschen sind Gene für elf verschiedene HDAC-Enzyme bekannt. Die derzeit in Studien erprobten HDAC-Inhibitoren wirken unspezifisch auf alle Mitglieder der Enzymgruppe. Das erklärt, so vermuten Mediziner, die schweren Nebenwirkungen der Substanzen, etwa Magen-Darm-Störungen und Blutbildveränderungen.
Auch das bösartige Neuroblastom, ein vom Nervengewebe ausgehender Krebs des Kindesalters, spricht auf HDAC-Inhibitoren gut an. Ina Oehme und ihre Kollegen aus der Abteilung von Professor Dr. Olaf Witt im Deutschen Krebsforschungszentrum prüften nun, ob bei dieser Krebserkrankung tatsächlich alle HDAC beteiligt sind oder ob vielmehr einzelne Mitglieder der Enzymfamilie eine besondere Rolle für das Neuroblastom spielen. Dazu untersuchten sie, wie häufig die einzelnen HDAC-Gene abgelesen und in Boten-RNA umgeschrieben werden.
Die Forscher erkannten, dass vor allem HDAC8 mit bösartigem Krebswachstum in Zusammenhang steht: In fortgeschrittenen und metastasierenden Neuroblastomen wird das HDAC8-Gen besonders häufig abgelesen, was mit einem besonders ungünstigen Verlauf der Erkrankung einhergeht. In einem bestimmten Stadium der Neuroblastome dagegen, bei dem häufig spontane Heilungen beschrieben sind, ist HDAC8 nur schwach aktiv.
Wird HDAC8 in Neuroblastom-Zellen in der Kulturschale genetisch ausgeschaltet, verlangsamt sich das Wachstum, und die Krebszellen beginnen wieder, die Gestalt von Nervenzellen anzunehmen. Den gleichen Effekt erzielten die Forscher, wenn sie die Neuroblastomzellen mit einem Wirkstoff behandeln, der ausschließlich das HDAC8-Enzym ausschaltet. Untersuchungen an Mäusen sollen nun zeigen, ob dieser selektive Wirkstoff als Grundlage für weitere klinische Entwicklungen geeignet ist.
„Es ist sinnvoller, für die Behandlung von Tumoren einen spezifischen Wirkstoff einzusetzen, der gezielt die krebsrelevanten Enzyme blockiert“, erläutert Olaf Witt das Ziel der Untersuchung: „HDAC spielen bei so vielen zellulären Prozessen eine Rolle, und die Langzeitfolgen sind noch wenig erforscht. Deswegen ist es gerade bei Kindern vermutlich besser, nicht „blind“ all diese Enzyme auf einmal auszuschalten, sondern sich auf den wahren Schuldigen zu konzentrieren.“
HDAC, die Histon-Deacetylasen, schneiden von den Histonen, den „Verpackungsproteinen“ der DNA, eine kleine Molekülgruppe ab. Dadurch gehen die Histone eine stabilere Bindung mit dem Erbmolekül ein. Das macht den DNA-Strang für Aktivierungsfaktoren unzugänglich, so dass viele Gene nicht mehr abgelesen werden können. Die Erbgut-Modifikationen durch HDAC zählen zu den so genannten epigenetischen Phänomenen, die die Aktivität der Gene durch reversible chemische Modifikationen regulieren, ohne die Gensequenz selbst zu beeinflussen. Darüber hinaus binden HDAC auch direkt an weitere zelluläre Proteine, so blockieren sie etwa p53, den „Wächter des Genoms“ und greifen damit zusätzlich in die Krebsentstehung ein.
Ina Oehme, Hedwig E. Deubzer, Dennis Wegener, Diana Pickert, Jan-Peter Linke, Barbara Hero, Annette Kopp-Schneider, Frank Westermann, Scott M. Ulrich, Andreas von Deimling, Matthias Fischer and Olaf Witt: Histone deacetylase 8 in neuroblastoma tumorigenesis. Clinical Cancer Research, 1. Januar 2009; DOI 10.1158/1078-0432.CCR-08-0684
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