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Zweiklassengesellschaft bei Hirntumoren

Nr. 45 | 16.08.2011 | von (Koh)

Wissenschaftler aus den Deutschen Krebsforschungszentrum und dem Universitätsklinikum Heidelberg leiteten die bislang größte molekularbiologische Analyse des Ependymoms, eines gefährlichen Hirntumors bei Kindern. Dabei konnten sie zwei verschiedene Typen von Ependymomen definieren, die sich sowohl in ihrem Erbgut als auch im klinischen Verlauf unterscheiden. Anhand dieser Ergebnisse wollen die Forscher die Ursachen der Erkrankung besser verstehen und gezieltere Therapieansätze entwickeln.

© dkfz.de

Ependymome sind die zweithäufigste Form von bösartigen Hirntumoren im Kindesalter. Sie entwickeln sich aus Vorläuferzellen der Gewebeschicht, die die Hirnkammern auskleidet. Die Erfolge einer Therapie des Ependymoms variieren stark: Während bei einigen Patienten das Tumorwachstum nach Operation und Bestrahlung zum Stillstand kommt, nimmt die Erkrankung bei anderen Kindern rasch einen schweren Verlauf. Bei etwa der Hälfte der Erkrankten wächst der Tumor weiter, die Patienten erliegen oft ihrem Leiden.

„Vor allem die Patienten mit schwerem Verlauf benötigen dringend bessere Therapien. Dafür müssen wir verstehen, wodurch sich Ependymome so sehr in ihren Eigenschaften unterscheiden“, sagt Dr. Stefan Pfister, der im Deutschen Krebsforschungszentrum und im Universitätsklinikum Heidelberg forscht. Zusammen mit seinem Kollegen Dr. Hendrik Witt veröffentlicht der Kinderarzt und Molekulargenetiker nun mit Forschern aus Kanada, aus den USA, aus Russland, Polen und Italien die Ergebnisse der bislang größten molekulargenetischen Untersuchung von Ependymomen im Bereich des Kleinhirns. Hier tritt dieser Tumor bei Kindern am häufigsten auf, bei Erwachsenen entwickeln sich Ependymome meist im Großhirn oder im Rückenmark.

Die Wissenschaftler untersuchten in insgesamt 583 Gewebeproben von Kleinhirn-Ependymomen das Tumorerbgut auf die Aktivität einzelner Gene und auf Verluste bzw. Vervielfältigungen ganzer DNA-Abschnitte. Zwei Gruppen dieser Tumoren wurden zunächst unabhängig voneinander analysiert und die Ergebnisse anschließend an den Gewebeproben einer dritten Gruppe überprüft. Durch diese Vorgehensweise erreichten die Forscher besonders aussagekräftige Ergebnisse.

Die großangelegte Studie erbrachte eindeutige Ergebnisse: Die Kleinhirn-Ependymome lassen sich anhand ihrer Erbgut-Anomalien in zwei Typen unterteilen, die sich auch in ihrem klinischen Verlauf deutlich unterscheiden. Erkrankungen des Typs A zeigen einen ungünstigen Verlauf, die Tumoren kehren nach einer anfänglichen Operation oft zurück und metastasieren häufig, woran zahlreiche Patienten schließlich versterben. TypA-Tumoren weisen verhältnismäßig wenige Verluste oder Zugewinne von Genabschnitten auf, allerdings sind sehr viele Gene aktiviert, die in wichtigen Krebssignalwegen eine Rolle spielen.

Erkrankungen des Typs B dagegen haben eine günstige Prognose, obwohl das Genom dieser Krebszellen sehr instabil ist. Typische Kennzeichen sind hier Zugewinne großer Abschnitte der Chromosomen 9, 15 und 18 sowie Verluste der Chromosomen 6 und 22.

„Die genetischen Unterschiede zwischen den beiden Typen sind so ausgeprägt, dass man von zwei verschiedenen Erkrankungen sprechen muss, die möglicherweise sogar aus verschiedenen Ursprungszellen hervorgehen“, sagt Stefan Pfister. Die Heidelberger Forscher werden nun vor allem die Typ-A-Ependymome näher analysieren um herauszufinden, welche der genetischen Veränderungen die so genannte „driver mutation“ darstellt, die die Krebsentstehung verursacht. So wollen sie mögliche Ansatzpunkte für bessere Medikamente identifizieren, mit denen sie gezielt gegen die besonders aggressiven Typ-A-Ependymome vorgehen können. Für einige der Signalwege, die in Typ-A-Tumoren überaktiv sind, wurden bereits zielgerichtete Medikamente entwickelt, die derzeit in klinischen Studien bei anderen Krebsarten geprüft werden. Möglicherweise kommen einige dieser Wirkstoffe auch als Behandlungsoptionen beim Ependymom in Frage.

Aber auch in naher Zukunft werden Patienten schon von der Ergebnissen der Erbgut-Analyse profitieren: Ärzte können nun mit einfachen Tests die Erkrankung einem der beiden Tumortypen zuordnen und damit besser entscheiden, wie intensiv sie behandeln müssen.

Hendrik Witt, Stephen C. Mack, Marina Ryzhova, Sebastian Bender, Martin Sill, Ruth Isserli, Axel Benner, Thomas Hielscher, Till Milde , Marc Remke, David T. W. Jones, Paul A. Northcott, Livia Garzia, Kelsey C. Bertrand, Andrea Wittmann, Yuan Yao, Stephen S. Roberts, Luca Massimi, Tim Van Meter, William A. Weiss, Nalin Gupta, Wiesia Grajkowska, Boleslaw Lach, Yoon-Jae Cho, Andreas von Deimling, Andreas E. Kulozik, Olaf Witt, Gary D. Bader, Cynthia E. Hawkins, Uri Tabori, Abhijit Guha, James T. Rutka, Peter Lichter, Andrey Korshunov, Michael D. Taylor und Stefan M. Pfister: Delineation of Two Clinically and Molecularly Distinct Subgroups of Posterior Fossa Ependymoma. Cancer Cell, 15. August 2011, DOI 10.1016/j.ccr.2011.07.007

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, Interessierte und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.

Um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Patientinnen und Patienten zu verbessern, betreibt das DKFZ gemeinsam mit exzellenten Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland Translationszentren:

  • Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT, 6 Standorte)
  • Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK, 8 Standorte)
  • Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) Heidelberg
  • Helmholtz-Institut für translationale Onkologie (HI-TRON) Mainz – ein Helmholtz-Institut des DKFZ
  • DKFZ-Hector Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim
  • Nationales Krebspräventionszentrum (gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe)
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

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