Erziehung zur Toleranz
Überraschende Entdeckung: Der Thymus als Abbild der Proteinausstattung des Körpers
Für unsere Gesundheit ist es entscheidend, dass das Immunsystem zuverlässig zwischen "fremd" und "selbst" unterscheidet. Es muss Krankheitserreger oder Giftstoffe abwehren, andererseits aber Tausende verschiedener Eiweiße verläßlich als körpereigen erkennen und tolerieren. Professor Dr. Bruno Kyewski, Abteilung Zelluläre Immunologie des Deutschen Krebsforschungszentrums, und seine Mitarbeiter beschreiben in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift Nature Immunology* neue Erkenntnisse darüber, wie das Immunsystem diese Toleranz erlernt.
Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose oder bestimmte Formen von Rheuma und Diabetes führen vor Augen, dass Angriffe auf körpereigene Eiweiße fatale Folgen haben können. Daher hat der Organismus ein komplexes Sicherungssystem entwickelt, das T-Zellen, die Waffen des Immunsystems, daran hindert, sich gegen den Körper selbst zu richten.
Eine Schlüsselrolle hierbei spielt die Thymusdrüse. Jede T-Zelle muss im Verlauf ihrer Reifung dieses Organ passieren, das auch als "Schule des Immunsystems" bezeichnet wird. T-Zellen, die sich gegen körpereigene Strukturen richten, werden hier unverzüglich eliminiert. Entscheidend für die Effizienz dieser Selektion ist, dass die T-Zellen mit möglichst vielen Proteinen des Körpers in Kontakt kommen. Viele Eiweiße zirkulieren im Blut durch den gesamten Körper und gelangen so auch in den Thymus. Wie aber kommt es zu Toleranz gegenüber Proteinen, die hochspezifisch für bestimmte, weit abgelegene Organe sind, wie dem Insulin der Bauchspeicheldrüse oder Bestandteilen des zentralen Nervensystems?
Kyewski und seine Mitarbeiter machten eine überraschende Entdeckung: Eine bestimmte Population von Thymuszellen produziert dauerhaft verschiedene, für Thymusgewebe untypische Eiweiße, die ihrer Funktion nach auf Aufgaben in bestimmten Organen wie Leber oder Zentralnervensystem spezialisiert sind. Welchen Sinn hat die Anwesenheit dieser Proteine fernab ihrer "Wirkungsstätte"? "Der Thymus stellt offensichtlich", so vermutet Bruno Kyewski, "weitgehend ein Abbild der Proteinausstattung des gesamten Körpers dar. Dadurch können hier Reaktionen von T-Zellen auch gegen Eiweiße weit entfernter Körperregionen geprüft werden. Wir konnten zeigen, dass diese Begegnung ausreicht, um T-Zellen mit gefährlichen selbstreaktiven Tendenzen aus dem Verkehr zu ziehen."
Wichtig sind die Ergebnisse der Heidelberger Immunologen vor allem auch für Krebsmediziner, die zur Entwicklung von Immuntherapien nach spezifischen Proteinmerkmalen von Tumorzellen suchen: Geeignete Therapieziele sind wahrscheinlich nur solche Proteine, die nicht auch im Thymus nachgewiesen werden können.
* Jens Derbinski, Antje Schulte, Bruno Kyewski und Ludger Klein. Promiscuous gene expression in medullary thymic epithelial cells mirrors the peripheral self . Nature Immunology 2, 1032 - 1039 (2001).
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, Interessierte und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.
Um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Patientinnen und Patienten zu verbessern, betreibt das DKFZ gemeinsam mit exzellenten Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland Translationszentren:
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.