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Der Feind im Inneren

Wie entstehen Autoimmunreaktionen, die zur Multiplen Sklerose führen?

Nr. 01 | 10.01.2000 | von (Koh)

Das Krankheitsbild der Multiplen Sklerose – Lähmungen und Sehstörungen – wird verursacht durch fehlgeleitete Immunangriffe gegen die isolierende Zellschicht, die die Nervenbahnen umgibt. Erste Hinweise, wie sich solche zerstörerischen "Autoimmun"-Reaktionen entwickeln, beschreiben Privatdozent Dr. Bruno Kyewski, Abteilung Zelluläre Immunologie des Deutschen Krebsforschungszentrums, und Dr. Ludger Klein, Dana Faber Cancer Institute, Boston, zusammen mit ihren Kooperationspartnern in der neuesten Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature medicine*.

Als Modellsystem zur Untersuchung der molekularen Ursachen dieser Reaktion dient ein der Multiplen Sklerose vergleichbares Krankheitsbild: Die Experimentelle Autoimmun-Enzephalo- myelitis (EAE), die bei bestimmten Maus-Inzuchtstämmen durch Injektion von aus Nervenzellen gewonnenen Eiweißen ausgelöst wird. Eines der Ziele der selbstzerstörerischen Immunattacken bei der EAE ist das Eiweiß PLP, ein wichtiger Bestandteil der Isolierschicht der Nerven.

Die Wissenschaftler untersuchten die Bildung von PLP im Thymus, jenem Organ, in dem die Immunzellen die Unterscheidung von "Selbst" und "Nicht-Selbst" lernen: Abwehrzellen, die gegen körpereigene Strukturen gerichtet sind, werden hier aussortiert und können keinen Schaden mehr anrichten. Zellen, die diese Schule des Immunsystems absolviert haben, sind tolerant gegenüber all jenen Eiweißen des eigenen Körpers, denen sie hier begegnet sind. Doch im Thymus, so stellten die Heidelberger Immunologen fest, wird PLP nur in einer um 35 Eiweiß-Bausteine verkürzten Version gebildet.

Worin aber unterscheiden sich EAE-empfindliche Mäuse von Tieren, die diese Autoimmunreaktion nicht ausprägen? Bedingt durch ihre genetische Ausstattung entwickeln die EAE-resistenten Tiere von vornherein keine Immunabwehr gegen die im Thymus fehlenden 35 Bausteine des PLP. Abwehrzellen gegen andere Bereiche des Proteins werden ohnehin eliminiert. Beim EAE-empfindlichen Inzuchtstamm dagegen fanden die Wissenschaftler zahlreiche Immunzellen, die exakt gegen den Abschnitt des PLP gerichtet sind, den das Thymusgewebe nicht produziert. Da die Zellen dieser Zielstruktur im Thymus nicht begegnen, versagt der Toleranz-Mechanismus: Sie entgehen der Eliminierung und können bei ihren Patrouillen im Körper verheerende Schäden an den Nervenbahnen anrichten.

Ein vergleichbarer Mechanismus könnte erklären, so die Autoren, warum einige Menschen an Multipler Sklerose erkranken: Auch im menschlichen Thymus wird nur die Kurzversion des PLP gebildet, so daß wahrscheinlich auch unser Immunsystem keine vollständige Toleranz gegenüber diesem Eiweiß erlernen kann.

*Klein, L., Klugmann, M., Nave, K.-A., Tuohy, V.K. & Kyewski, B. Shaping of the autoreactive T-cell repertoire by a splice variant of self protein expressed in thymic epithelial cells. Nature Medicine, 6:56 (2000)

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, Interessierte und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.

Um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Patientinnen und Patienten zu verbessern, betreibt das DKFZ gemeinsam mit exzellenten Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland Translationszentren:

  • Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT, 6 Standorte)
  • Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK, 8 Standorte)
  • Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) Heidelberg
  • Helmholtz-Institut für translationale Onkologie (HI-TRON) Mainz – ein Helmholtz-Institut des DKFZ
  • DKFZ-Hector Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim
  • Nationales Krebspräventionszentrum (gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe)
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

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